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LNG und Ammoniak

Wo die Energie der Zukunft ankommt

Autorenprofilbild von Olaf Preuß
Von Olaf PreußWirtschaftsreporter
Veröffentlicht am 02.03.2024Lesedauer: 6 Minuten
Johann Killinger auf dem Schlepper „Bützfleth“ am Hafen von Stade
Johann Killinger auf dem Schlepper „Bützfleth“ am Hafen von StadeQuelle: Bertold Fabricius

In Stade wird wohl Deutschlands größter Terminal für den Import von tief gekühltem, verflüssigtem Erdgas (LNG) gebaut. Später soll die Anlage auf regenerativ erzeugtes Ammoniak umgestellt werden. Treibende Kraft dabei ist der Hamburger Unternehmer Johann Killinger.

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Auf der Elbe kriecht an diesem Mittag im Februar ein nasskalter Wind in den Kragen und unter die Jacke, während der Schlepper „Bützfleth“ am Hafen von Stade entlangdieselt. In den kommenden Jahren wird an diesem gerade so unwirtlichen Ort eines des wichtigsten Zentren der deutschen Energiewirtschaft entstehen – zunächst für den Import von tief gekühltem, verflüssigtem Erdgas (LNG), später dann für Kraftstoffe wie etwa „grünes“ Ammoniak, die mithilfe erneuerbarer Energien erzeugt werden sollen. So lautet jedenfalls der Plan von Wirtschaft und Politik.

Johann Killinger, Inhaber und Chef des Hamburger Hafenlogistik-Unternehmens BUSS Group, betrachtet auf dem Bug des Schiffes die Anlagen am Elbufer rund 40 Kilometer westlich von Hamburg. Im Hintergrund steht der Chemiepark Stade mit den Werken von Dow und anderer Unternehmen. Davor ragt ein neu gebauter Anleger für die Entladung von Gastankern aus dem Fluss, den die „Bützfleth“ nun ansteuert. Killinger hat dieses Projekt wesentlich mit vorangebracht. Noch im März könnte die nötige Entscheidung für den Bau des Hanseatic Energy Hubs fallen, er wäre künftig Deutschlands größte Anlage für den Import von LNG. „Wir sind vor der finalen Investitionsentscheidung für den Terminal auf den letzten Metern“, sagt er. „Bei Entscheidungen dieser Größenordnung ist es wichtig, alle formellen Schritte bis zum Schluss sauber abzuarbeiten.“

Ebenfalls in diesem Monat wird für eine Übergangszeit ein schwimmender LNG-Importterminal, eine sogenannte Floating Storage and Regasificiaton Unit (FSRU), in Stade festmachen. Es ist eines von vier solcher Spezialschiffe, die 2022 von der Bundesregierung für einige Jahre gechartert worden waren, um nach dem russischen Überfall auf die Ukraine einen Kollaps des deutschen Erdgasmarktes zu verhindern.

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Visualisierung des geplanten LNG-Terminals Hanseatic Energy Hub in Stade
Visualisierung des geplanten LNG-Terminals Hanseatic Energy Hub in StadeQuelle: Hanseatic Energy Hub

Nur wenige Menschen in der deutschen Wirtschaft glaubten vor einigen Jahren daran, dass es sinnvoll sein könnte, in Deutschland eine oder mehrere Anlagen für den Import von verflüssigtem Erdgas zu bauen. Dieses LNG, das für den Transport um die Welt auf minus 160 Grad abgekühlt werden muss, ist umständlich und komplex zu handhaben. Bei Unternehmen und in der Politik setzte man jahrzehntelang lieber auf das praktische, günstige russische Pipelinegas, eingelullt von der vermeintlichen Gewissheit, dass die Russen ja selbst im Kalten Krieg stets zuverlässig geliefert hatten. Killinger und auch Frank Schnabel, der Geschäftsführer des Brunsbütteler Hafenlogistik-Unternehmens Schramm Group, warben seinerzeit eher einsam für den Bau von LNG-Terminals – mit solchen Anlagen kann Deutschland Erdgas unabhängig von Pipelines auch aus anderen Weltregionen importieren, sei es aus den USA, vom Persischen Golf oder aus Australien. „Unser Business Case für den LNG-Importterminal in Stade war – vor dem Beginn des Ukraine-Krieges – die Ansicht, dass wir keinen funktionierenden Erdgasmarkt in Nordeuropa haben, weil es viel zu wenige Erdgaslieferanten gab“, sagt der 63-Jährige. Das war damals nicht populär. Doch bald nach dem Angriff auf die Ukraine stoppte Russland tatsächlich den Export von Erdgas nach Westeuropa. Mit dem Bau von LNG-Terminals hatte es die Bundesregierung dann sehr eilig.

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Durch den Krieg wurde auch das Projekt in Stade beschleunigt, das Killlinger schon Jahre zuvor initiiert hatte. Mittlerweile ist die Baufläche für den stationären LNG-Terminal weitgehend vorbereitet, ein Areal von 24 Hektar, das zum Chemiepark gehört. Seit Monaten wird dort der Boden planiert, werden Anschlüsse an das deutsche Erdgasnetz und Versorgungsleitungen gelegt. Vier Unternehmen wollen den Hanseatic Energy Hub realisieren. Die BUSS Group hält etwa ein Viertel der Anteile an der Betreibergesellschaft, Killinger fungiert als einer von zwei Geschäftsführern. Hinzu kommen das Schweizer Finanzunternehmen Partners Group als größter Gesellschafter sowie Dow und das spanische Energieunternehmen Enagás. Eine Milliarde Euro wollen die Projektträger in den Bau des Hanseatic Energy Hubs investieren. Rund 300 Millionen Euro Steuergeld stecken bereits im neuen Anleger, den der niedersächsische Hafenbetreiber NPorts 2023 errichtet hat.

Ein Chemikalientanker am Hafen von Stade
Ein Chemikalientanker am Hafen von StadeQuelle: Bertold Fabricius

Der LNG-Terminal soll im Jahr 2027 in Betrieb gehen. Er ist für einen Durchsatz von 13,3 Milliarden Kubikmetern Erdgas im Jahr geplant – das entspricht etwa 15 Prozent des jährlichen deutschen Gesamtbedarfs an Erdgas. Doch die Anlage ist auch für den europäischen Markt gedacht. Zwölf Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Stade nehmen künftig die deutschen Energieunternehmen EnBW und SEFE sowie ČEZ aus Tschechien ab, die übrigen 1,3 Milliarden Kubikmeter jährlich sollen kurzfristig am Spotmarkt verkauft werden. Zwei Lagertanks, je 90 Meter im Durchmesser und 60 Meter hoch, sollen am Hanseatic Energy Hub über die Elbe ragen. Jeder Tank fasst 240.000 Kubikmeter LNG. Ein Kubikmeter LNG entspricht, wenn das Methan wieder gasförmig ist, 600 Kubikmetern Erdgas.

Bis heute ist die BUSS Group, gegründet 1920, auch in der klassischen Hafenwirtschaft und in der Schifffahrt tätig, sei es mit Stauern für den Schwergutumschlag, mit einer Beteiligung an der Hamburger Reederei Leonhardt & Blumberg oder mit einem Mehrzweckterminal in Stade. Aber die Schwerpunkte des Unternehmens mit dessen derzeit etwa 500 Mitarbeitern und 300 Millionen Euro Jahresumsatz haben sich geändert. Jahrzehntelang war BUSS einer der wichtigsten Akteure im Hamburger Hafen. Nach dem Ende des Pachtvertrages jedoch musste Killinger 2017 den Schwergutterminal Hansa Terminal schließen. Zuvor schon hatte er das Unternehmen in der Energiebranche neu aufgestellt, etwa mit Terminals in Eemshaven in den Niederlanden und in Sassnitz auf Rügen. Und später auch mit dem Hanseatic Energy Hub.

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Mit welch überraschenden Wendungen Energiewirtschaft verbunden ist, hat Killinger mehrfach erlebt. Im vergangenen Jahrzehnt verlangsamte die damalige Bundesregierung den Ausbau der Offshore-Windkraft in den deutschen Seegebieten. Die Auslastung des BUSS-Terminals in Eemshaven ging deshalb stark zurück. Zeitweise fuhr die Anlage Verluste ein, obwohl der Terminal an der Nordsee auch beim Bau von Offshore-Windparks in anderen europäischen Ländern genutzt wird. Über den BUSS-Terminal in Sassnitz wiederum wurden Rohre für die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 auf die Ostsee verschifft. Diese neue – und inzwischen teilweise wieder zerstörte – Leitung für den Import von russischem Erdgas war international immer umstritten. Spätestens seit dem Ukrainekrieg gilt ihr Bau, den die damaligen Bundesregierungen mit vorangetrieben hatten, als historischer Fehler.

Der neu gebaute Anleger für LNG-Tanker in Stade
Der neu gebaute Anleger für LNG-Tanker in StadeQuelle: Bertold Fabricius

Auch LNG, dessen Import Deutschland 2023 vor einer möglichen Energiekrise bewahrt hat, steht längst wieder in der politischen Kritik, vor allem von Umweltorganisationen. „Der geplante LNG-Terminal in Stade ist mit den Klimazielen nicht vereinbar“, sagt Susanne Gerstner, die Landesvorsitzende des BUND Niedersachsen. Gegen den Bau eines stationären LNG-Terminals in Brunsbüttel kämpft unter anderem die Deutsche Umwelthilfe. Und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin postulierte dieser Tage in einer Studie: „Der überdimensionierte LNG-Infrastrukturausbau ist nicht erforderlich, um eine potenzielle Gasmangellage zu vermeiden und sollte daher nicht weiterverfolgt werden.“

Killinger, der 2017 bis 2021 als einer der „Kammerrebellen“ auch Vizepräses der Handelskammer Hamburg war, sieht das gelassen. „Das Projekt hier in Stade ist für die Bundesregierung gesetzt“, sagt er. Ebenso wichtig ist aus seiner Sicht obendrein, dass der Importterminal in einigen Jahren auf die Einfuhr von sogenanntem „grünem“ Ammoniak umschwenken kann. Basis dafür und auch für den Import anderer Energieträger soll „grüner“ Wasserstoff sein, der künftig in wind- und sonnenreichen Gebieten der Erde mithilfe von Ökostrom erzeugt wird. Gegen Ende des Jahrzehnts wird der Import von Ammoniak stark steigen, vermutet Killinger. Dann muss der Terminal schrittweise umgerüstet werden. Verflüssigtes Ammoniak ist etwa minus 33 Grad kalt und hat andere chemische Eigenschaften als das deutlich kältere LNG.

Der Weg zu einer grundstabilen Versorgung mit regenerativen Energien in Deutschland ist allerdings noch weit. Erdgas-Kraftwerke werden noch lange Zeit laufen, um schwankende Erträge aus Wind- und Sonnenkraft auszugleichen. „Es ist unglaublich spannend, an der Transformation der Energiewirtschaft mitzuarbeiten“, sagt Killinger. „Was mangelnde Versorgungssicherheit bedeuten kann, haben wir nach dem Beginn des Ukraine-Krieges ja gesehen.“


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