Dieses Bild wird sich einbrennen. Xabi Alonso stand vor der Fantribüne in der BayArena, immer wieder wurde sein Name gerufen. „Xabi, Xabi, Xabi“ hallte es durch das Stadion – und der enthusiastisch gefeierte Trainer von Bayer Leverkusen war tief bewegt. „Es ist sehr schön, diesen Moment mit der Mannschaft und den Fans zu feiern. Es war mir wichtig, dass alle wissen, dass ich mir wünsche, hier zu arbeiten“, sagte der Baske am vergangenen Samstagnachmittag nach dem 2:1 (0:1)-Sieg über die TSG Hoffenheim. Es war der vorläufige Höhepunkt einer äußerst ereignisreichen und erfolgreichen Woche.
Am Karfreitag hatte Alonso, der in den vergangenen Monaten immer wieder mit dem FC Liverpool und dem FC Bayern München in Verbindung gebracht worden war, erklärt, dass er auch in der kommenden Saison in Leverkusen bleiben werde. Dafür allein wurde er bereits in den sozialen Netzwerken gefeiert. Am Tag darauf, als Alonso bereits mit Beifall und Ovationen vor dem Anstoß im Stadion empfangen wurde, blieb seine Mannschaft auch im 39. Pflichtspiel in Folge ungeschlagen. Sie kämpfte Hoffenheim in der Schlussphase nieder – dank später Tore und einer beispiellosen Mentalität.
Bayer spielt derzeit nicht nur den mit Abstand besten Fußball in der Bundesliga – die Spieler hören auch niemals auf, an sich glauben. Gegen Ende der Partie, als ein Angriff nach dem anderen auf das Hoffenheimer Tor zurollte, der Trainer an der Seitenauslinie nach vergebenen Torchancen aus Verzweiflung auf die Knie ging, wurde die BayArena zum Tollhaus. Es war bisher der atmosphärische Höhepunkt der aktuellen Spielzeit.
Fans treiben Leverkusen zum Sieg
„Viele, die dieses Spiel im Fernsehen gesehen haben, haben zwischendurch vielleicht gedacht: Heute passiert es, heute verlieren wir. Doch sie haben die Stimmung in diesem Stadion nicht erlebt, die Unterstützung unserer Fans nicht mitbekommen“, sagte Alonso. Leverkusen und Stimmung? Dies schien sich im Bewusstsein vieler Fans tatsächlich über Jahre hinweg auszuschließen.
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Doch Alonso hatte recht: Es waren auch die Fans, die gegen Hoffenheim mitgeholfen hatten, die vielleicht entscheidende Partie im Titelrennen zu gewinnen – denn gut vier Stunden später stand fest, dass die Bayern mit 0:2 gegen Borussia Dortmund verloren haben. Der Vorsprung der Rheinländer beträgt nun 13 Punkte – bei nur noch sechs ausstehenden Spielen. Noch nie hat ein Tabellenführer in der Geschichte der Bundesliga einen solch hohen Vorsprung noch aus der Hand gegeben. „Glückwunsch an Leverkusen“, sagte Bayerns Trainer Thomas Tuchel. „Nein, nein, nein“, so der Bayern-Trainer auf Nachfrage: Er habe keinerlei Hoffnungen mehr. Der kommende Meister heiße Bayer 04.
Was Leverkusen bereits bis hierhin erreicht hat, ist eine Revolution in der deutschen Eliteliga. Es ist der Beleg, dass etwas möglich ist, selbst wenn die finanziellen Mittel nicht an die der Bayern, auch nicht an die der Dortmunder oder der Leipziger heranreichen. Die Möglichkeiten des Werksklubs sind dank des Bayer-Konzerns im Rücken zwar gut, aber eben auch nicht vergleichbar mit denen der ganz großen Vereinen.
Leverkusen investierte 82 Millionen Euro in neue Spieler
Vor gut einem Jahr hatte Fernando Carro, der Vorsitzende der Geschäftsführung, sogar noch ankündigt, dass Transferüberschüsse erwirtschaftet werden sollen. Dann aber konnte trotzdem investiert werden. Knapp 82 Millionen Euro wurden im vergangenen Sommer für neue Spieler ausgegeben, knapp 13 Millionen mehr als durch die Verkäufe eingenommen worden waren. Carro und Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes erkannten: Mit dieser Trainerpersönlichkeit wird mehr möglich sein als in den Jahren zuvor. Sie gingen mit Rückendeckung des Konzerns ein kalkuliertes Risiko ein.
Es kommt auf das Wie an. Es war vor allem die kluge Transferpolitik, die dazu geführt hat, dass Alonso eine Mannschaft bauen konnte, die eine perfekte Mischung aus Talent und Erfahrung beinhaltet – eine Synthese aus Qualität und Mentalität bildet. Mit Alejandro Grimaldo, Granit Xhaka, Jonas Hofmann und Victor Boniface sind vier der wichtigsten und beständigsten Spieler Neuzugänge. Sie sorgen dafür, dass Profis wie Jonathan Tah, Jeremie Frimpong, Robert Andrich und Exequiel Palacios, die bereits vorher da waren, noch stärker wurden. Nahezu jeder Spieler geht regelmäßig ans Limit. Vor allem das 20-jährige Ausnahmetalent und Spielmacher Florian Wirtz wurde von Monat zu Monat besser.
Das, was in Leverkusen aufgebaut wurde, soll nachhaltig sein – und deutlich über die laufende Saison hinaus Bestand haben. Die Vertragsgestaltung in Bezug auf Leistungsträger ist größtenteils langfristig. Dies dürfte auch einer Gründe sein, warum Alonso beispielsweise dem Werben der Bayern, die ihn unbedingt wollten, widerstanden hat. Er wolle auch zukünftig „den Spielern helfen“, erklärte der 42-Jährige. Sein Weg mit dieser Mannschaft, seiner ersten aus einer der Spitzenligen, ist noch nicht zu Ende.
Die Wahrscheinlichkeit ist tatsächlich groß, dass kein Leistungsträger den Klub verlassen wird. Selbst Wirtz, derzeit die begehrteste Ware auf dem internationalen Markt, soll gehalten werden. „In diesem Jahr wird er zu 100 Prozent sicher bleiben“, sagte Carro.
Mehreinnahmen durch Europa League, DFB-Pokal und Champions League
In Anbetracht der zu erwartenden Ausschüttungen aus dem Vermarktungspool der Europa League, wo die es Leverkusener im Viertelfinale mit West Ham United (11.4. und 18.4.) zu tun bekommen, sowie den Einnahmen aus dem DFB-Pokal, wo Bayer am Mittwoch (20.45 Uhr/live Sky, ZDF und im WELT-Liveticker) auf Fortuna Düsseldorf trifft, muss ohnehin nicht verkauft werden. Aufgrund der starken Bundesligasaison wird der Klub zudem einen Sprung bei den TV-Einnahmen machen. Vor allem aber spielt Leverkusen kommende Saison Champions League.
Es wird also nicht so kommen wie vor 22 Jahren. Damals wurde Bayer sowohl in der Champions League, im Pokal als auch in der Liga am Ende Zweiter. In der Folge gingen Leistungsträger, darunter Zé Roberto und Michael Ballack. In der darauffolgenden Saison 2002/03 kam der Absturz: Leverkusen wurde 15., wäre fast abgestiegen.
Diese Geschichte wird sich nicht wiederholen – dazu trägt vor allem das Commitment von Alonso bei. „Er ist ein Trainer, der die Spieler besser macht“, sagte Carro. Der Bayer-Boss will nach Möglichkeit mit Alonso, der noch bis 2026 unter Vertrag steht, Leverkusen zu einem Dauergast in der Champions League machen. Die Chancen stehen so gut wie noch nie.