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Wie der Körper entscheidet, was wir morgens essen

Redakteur
Keine Experimente: Wer sein Frühstück gefunden hat, bleibt der Gewohnheit über lange Zeit treu Keine Experimente: Wer sein Frühstück gefunden hat, bleibt der Gewohnheit über lange Zeit treu
Keine Experimente: Wer sein Frühstück gefunden hat, bleibt der Gewohnheit über lange Zeit treu
Quelle: picture alliance/ PantherMedia/ Barbara Neveu; Getty Images/ Creative Crop; Getty Images/ iara venanzi
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Brot, Müsli oder Ei: Warum essen wir morgens immer das Gleiche, wollen aber zu anderen Tageszeiten beim Essen strikt Abwechslung? Überraschend viel wird vom Körper entschieden, der beim Frühstück gezielte Bedürfnisse zeigt.

Eine Beobachtung: Zum Frühstück gibt es Brötchen mit Marmelade oder Brot mit Käse, Wurst. Oder Müsli oder Haferflocken. Oder gekochtes Ei oder Spiegelei. Und am Tag darauf, wie selbstverständlich, gibt es das Gleiche, Brot oder Ei oder Müsli, und danach wieder und wieder.

Oft müssen alle Parameter peinlich genau eingehalten werden. Also das Ei fünf Minuten kochen, aber nicht vier oder sechs Minuten. Oder erst Marmelade aufs Brötchen und danach Käse und niemals Orangenmarmelade. Oder geräucherter Schinken, aber sonst keine Wurst. Und wehe die Reihenfolge gerät durcheinander, das kann den halben Tag vermiesen. Ist das nicht seltsam, ja komplett entgegen unseren Essgewohnheiten?

Denn man braucht sich nur vorzustellen, es gäbe jeden Mittag oder Abend Nudeln oder Kartoffeln. Nach drei Tagen wären wir gelangweilt, nach vier argwöhnisch, nach fünf Tagen der Mahlzeit überdrüssig und mindestens missmutig. Essen soll abwechslungsreich sein, originell, darf sich nur in gebührenden Abständen wiederholen. Variation ist Gewohnheit. Nur morgens ist es eben ganz anders. Was wir beim Frühstück akzeptieren, ja zur Bedingung machen, ist zu einer anderen Tageszeit verpönt. Warum?

Diese Essgewohnheit wurde in der reichhaltigen Ernährungsforschung bisher kaum erfasst. Sicherlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle, physiologische, psychologische, kulturelle. „Das Frühstück ist weniger gemeinschaftsstiftend als etwa das Mittagessen“, sagt Gunther Hirschfelder, kulturwissenschaftlicher Ernährungsforscher an der Universität Regensburg. Es führt zu individuellem Verhalten, erst recht, seit die Zahl der Singles steigt.

Morgens sei eine größere Routine erforderlich, weil die Zeit knapp ist. Deshalb hat das Frühstück in der Zubereitung traditionell mehr Kaltkomponenten und wenig Warmkomponenten. „Und wir haben morgens einen höheren Stressfaktor. Stress führt immer dazu, dass wir Ernährungsroutinen entwickeln.“ Der Tag bringe Termine, Aufgaben, Unwägbarkeiten. Rituale stiften Ordnung, Essen und Trinken produziert emotionale Sicherheit, sagt Hirschfelder. In der Wiederholung des Rituals liegt Befriedigung: jedes Nutellabrot und jede Haferflockenportion eine Andacht.

Quelle: Getty; Infografik WELT

Der Mensch isst deshalb morgens konservativ statt progressiv, bleibt zuweilen den Gewohnheiten treu, die als Kind von den Eltern gelernt wurden. Bei aller sonstigen Experimentierfreude beim Essen werden praktisch keine Frühstücksgewohnheiten aus anderen Kulturkreisen übernommen. Kaum jemand würde hierzulande dauerhaft versuchen, wie in asiatischen Ländern morgens Suppe zu essen – obwohl asiatische Suppen zu anderen Tageszeiten als hip und gesund angesehen sind.

Ein Beleg für die Ritualisierungsthese: Kaum ist mehr Zeit, ändert sich die Sozialfunktion und auch das Essen. Am Wochenende zelebrieren Familien, Paare, Singles das große Frühstück. Dann gibt es eine breite Palette mit Angeboten, der Herd kommt zum Einsatz, um etwa Rührei nach Ottolenghi oder amerikanische Buttermilchpfannkuchen zuzubereiten. Wenn Gäste zum Brunch erscheinen, ist zusätzlich eine Originalitätsinszenierung im Spiel – bloß weg von der Routine.

„Statusrepräsentation durch Eventisierung“, nennt Hirschfelder das. Was am Abend normal ist, wird morgens nur als Ausnahme praktiziert.

„Übergewichtige gehen ohne Frühstück aus dem Haus“

Die Ärztin und Ernährungsexpertin Daniela Kielkowski hat eine klare Meinung zum „perfekten“ Frühstück.

Quelle: WELT / Kevin Knauer

Natürlich ist die Morgenmanie nicht unveränderbar. Viele Menschen wechseln nach einer Zeit die Regeln, es gibt statt Brot nun Porridge oder Früchte-Smoothie statt gekochtem Ei. Aber die Zyklen sind, gemessen an der sonstigen Essensvariation, erstaunlich lange. Regelmäßig kehrt man zu seinen ursprünglichen Gewohnheiten zurück und genießt das. Die alten Muster wecken positive Erinnerungen und versprechen Sicherheit.

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Aber die morgendliche Ernährung lässt sich auch mit den Bedürfnissen des Körpers erklären. „Morgens ist das Stresshormon Cortisol aus der Nebenniere am höchsten, das braucht man, um aufzuwachen und in Gang zu kommen“, sagt Kerstin Oltmanns, Professorin für Psychoneurobiologie an der Universität Lübeck. Auch die Medizinerin verweist deshalb auf die beruhigende, Stress reduzierende Wirkung von immer gleichen Abläufen. Die Nahrungsaufnahme ist morgens stärker als andere Mahlzeiten vom Energiemangel geprägt.

Über Nacht fastet man, der Körper braucht schnell verfügbare Energie. Was am besten funktioniert ist Zucker, der sofort ins Blut geht, und kalorienreiches Fett, sagt Oltmanns. Zucker senkt außerdem nachgewiesen den Cortisolspiegel. Deshalb der morgendliche Hang zu Marmeladenbrötchen, Schokocroissants, Müsli mit Honig. Andere Lebensmittel, gerade Proteine – etwa in Hülsenfrüchten enthalten – müssen dagegen erst aufgespalten werden, das dauert.

Quelle: Getty; Infografik WELT

Auch der Stoffwechsel ist anders als zu anderen Tageszeiten. Was beim Frühstück aufgenommen wird, wird sehr stark in die Zellen geschleust. Eine Studie 2020 an der Uni Lübeck zeigte, dass die gleiche Nahrung morgens vom Körper anders verwertet wird als abends. Probanden bekamen zu unterschiedlichen Tageszeiten jeweils üppige oder kalorienreduzierte Mahlzeiten zu essen. Anschließend wurden Blutwerte bestimmt. Blutzucker- und Insulinspiegel stiegen nach dem Frühstück im Vergleich zum Abendessen deutlich weniger an, egal was gegessen wurde. Der Körper verbrennt also morgens wesentlich mehr Kalorien als zu anderen Tageszeiten.

Bezogen auf die Frühstücksgewohnheiten ergibt sich daraus: Weil der Körper ein morgendlich hohes Energiebedürfnis hat, ist die Auswahl der Lebensmittel eingeschränkt. Es genügt die Zufuhr des Gleichen. Mittags oder abends hingegen ist der Körper, obwohl Hunger entsteht, in seinen schnellen Bedürfnissen bereits gesättigt. Nun ist er bereit für eine möglichst große Vielfalt beim Essen, die Zufuhr von unterschiedlichsten Produkten und Stoffen ist erwünscht. Das führt zum Bedürfnis nach Abwechslung.

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„Wenn man viel gefrühstückt hat, hat man selbst nachmittags oder abends weniger Hunger“, sagt Oltmanns. Bei wenig Frühstück entsteht Heißhunger, und der Appetit auf Süßigkeiten wächst den ganzen Tag über. Es ist also sinnvoll zu frühstücken, um Gewicht zu reduzieren, und eben nicht die Mahlzeit auszulassen. All die Snackboxen, die in Büros stehen, sind eine Reaktion auf die zunehmende Zahl der Intervallfaster oder Frühstücksauslasser und ein Hinweis auf einen gestiegenen Stresspegel der Angestellten.

Oltmanns beschäftigt sich auch mit Übergewichtigen. Den Trend zum Intervallfasten, um Gewicht zu verlieren, sieht sie skeptisch. Daten zeigen, dass es langfristig nicht zu einer Gewichtsreduktion führt. Denn erzwungene Regeln werden oft nicht auf Dauer durchgehalten. Tatsächlich, sagt sie, funktionieren auch beim Frühstück am besten die Sachen, die man gerne isst.

Ein fester Tagesablauf und Rituale

Entwicklungsgeschichtlich ist das Frühstück eine Reaktion auf die Bedürfnisse des Körpers. Aber es ist nicht zwingend notwendig, morgens sofort zu essen, vergleichsweise leicht lässt es sich überspringen. Paläoanthropologen haben keine eindeutigen Hinweise gefunden, dass der frühe Mensch morgens gegessen hat. Vielleicht musste er nach dem Aufwachen zunächst Nahrung suchen oder jagen.

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„Über die Mahlzeitenchronologie der langen Steinzeit wissen wir so gut wie gar nichts“, sagt Gunther Hirschfelder. Durch Sesshaftwerdung vor etwa 10.000 Jahren und den Beginn von Ackerbau und Viehzucht begann eine Chronologisierung, der Tag bekam einen Ablauf. Erste Hinweise auf Frühstück gibt es aus dem klassischen Ägypten, die sogenannte Mundwaschung war eine Morgenmahlzeit. „Alle vormodernen Gesellschaften bis ins 19. Jahrhundert und in ländlichen Räumen bis 1930 sind durchchronologisiert und durchritualisiert“, sagt Hirschfelder. Der Tagesablauf prägte das Leben.

In Mitteleuropa waren lange Zeit morgens Brei- und Mus-Speisen verbreitet, manchmal mit tierischen Fetten, Schweineschmalz oder Gänsefleisch. Brot war aufwendiger herzustellen und galt als edler. Bis in die jüngste Zeit wurden Ernährungsgewohnheiten und Nahrungsangebote nicht infrage gestellt. Der Wandel hat auch mit der stark erweiterten Vielfalt zu tun: Wer etwa Avocados hat, kann Wurstaufschnitt weglassen.

Erst seit einigen Jahrzehnten führen Individualisierung und Ernährungsbeschränkungen zu Veränderungen. Ritualisierte Frühstücksgewohnheiten sind nun Verzicht auf Fleisch oder tierische Produkte, Verzicht auf Zucker, Verzicht auf das Frühstück insgesamt. Das Ergebnis ist weiter eine Wiederholung. Es entsteht das gute Gefühl des richtigen Tuns.

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Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Soyoung Park vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam beschäftigt sich mit Entscheidungsfindungen. 2017 war Park an zwei Frühstücksstudien beteiligt, dabei wurden Testpersonen nach dem Frühstück mit unfairen Angeboten konfrontiert; es ging in einem Spiel zu zweit darum, sich Geldsummen zu teilen. Wer mehr Kohlenhydrate gegessen hatte, lehnte die unfairen Angebote eher ab. Wer dagegen mehr Proteine zum Frühstück hatte, war eher bereit, auf das Angebot einzugehen.

Schlussfolgerung: Nahrung hat einen Einfluss auf die im Gehirn zur Verfügung stehenden Neurotransmitter und kann Entscheidungen prägen. Das gilt besonders, wenn wie morgens die Ernährung immer gleich ist.

Ein letzter Einfluss des Frühstückskonservativismus auf den Tag: Psychologen haben die sogenannte Entscheidungsmüdigkeit untersucht, die im Laufe des Tages nachgewiesen abnimmt. Kerstin Oltmanns verweist darauf, wie schwer es wäre, wenn man jeden Tag beim Aufstehen neu überlegen müsste, was nun zu tun sei, duschen oder waschen, erst Kaffee, dann Zähne putzen oder umgekehrt? Und welches Frühstück?

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Barack Obama erklärte als US-Präsident seine Morgengewohnheiten so: „Ich möchte keine Entscheidungen treffen, was ich esse oder anziehe. Weil ich zu viele andere Entscheidungen zu treffen habe.“ Wer sein immer gleiches Frühstück zu schätzen weiß, wird nicht zwingend Präsident, ist aber bereit, den Tag über mehr Entscheidungen zu treffen.

Es gab im Weißen Haus dem Vernehmen nach erst 45 Minuten Sport, dann Eier, Kartoffeln, Toast und keinen Kaffee.

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Dieser Artikel wurde erstmals im Juli 2021 veröffentlicht.

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