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Meinung E-Mobilität

Warum Chinas Autobauer die deutsche Konkurrenz abhängen

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Publikumsmagnet: E-Auto der Marke Nio bei der Automesse in Peking
Quelle: AFP/PEDRO PARDO
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Chinas Autoindustrie produziert E-Autos schneller und besser als die deutsche. Das hängt nicht mit unfairen Marktbedingungen zusammen, sondern mit einer Mentalitätsfrage, meinen unsere Gastautoren von der Universität St. Gallen. In China wird Autobau ganz anders gedacht.

Aktuell dauert die Entwicklung eines neuen Autos hierzulande drei bis vier Jahre. Anschließend wird das Auto sechs bis acht Jahre lang verkauft. Zwischendurch, vielleicht nach etwa vier Jahren, gibt es zur Modellpflege ein Update, eine Art Facelift. Dies umfasst zumeist eher kleinere Änderungen, die das Design (z.B. andere Scheinwerfer) oder neue Assistenzsysteme betreffen. Vielleicht kommt auch eine neue Motorvariante oder ein Cabrio hinzu.

Zwar bemühen sich die deutschen Hersteller seit Jahren, den Entwicklungsprozess zu verkürzen. Sie wissen, dass nur eine hohe Innovationsgeschwindigkeit Wettbewerber auf Distanz hält und Wachstum schafft. Dennoch kommen sie mit ihren Produkten weiterhin erst relativ spät auf den Markt. Das liegt daran, dass sie nach wie vor zu viel Aufmerksamkeit auf die Produktionsseite legen. Auf der Softwareseite hingegen fehlen ihnen die Kernkompetenzen, die zur zeitgemäßen, intuitiven Nutzung der Bedienungsfunktionen der Fahrzeuge erforderlich sind.

Das Geschäftsmodell von aufstrebenden chinesischen Automobilunternehmen wie Nio und Li Auto ist anders. Es hat mehr Ähnlichkeit mit Apple und Foxconn als mit dem traditionellen Entwicklungsprozess deutscher Hersteller. Als Tech- beziehungsweise Digital-Unternehmen sind sie im Umgang mit schnelllebigen Technologien vertraut. Ihre Herstellungsprozesse mit den langsameren Erneuerungszyklen lagern sie komplett aus.

Während sich unsere Konzerne weiterhin um den klassischen Autobau kümmern, der sich zwar auch kontinuierlich weiterentwickelt, aber in einer langsameren Geschwindigkeit, konzentrieren sich die chinesischen Newcomer auf zukunftsrelevante Themen. Neben dem Design liegt der Schwerpunkt bei ihnen auf Kauffaktoren wie UI (User Interface), UX (User Experience) und Connectivity.

Selbst auferlegtes Hindernis

Ein weiteres, selbst auferlegtes Hindernis kommt hinzu: Deutsche Unternehmen versuchen oft, ein Weltmarktprodukt zu entwickeln, das überall als Maßstab für Geschwindigkeit und Standardisierung dienen soll. Chinesische Unternehmen dagegen fokussieren sich darauf, schnell Anpassungen für lokale Märkte vorzunehmen.

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Das grundsätzliche Problem für die deutschen Hersteller ist, dass der Paradigmenwechsel auf der Produktionsseite offensichtlich mit veränderten Bedürfnissen der Verbraucher bezüglich des Konsumguts Auto einhergeht. Diese sind zudem in besonderem Maß generationsbedingt. Mit anderen Worten: Sie haben also großen Einfluss auf die künftige Kundschaft und deren Kauf- oder Leasingentscheidungen.

Der letzte größere Paradigmenwechsel in der Automobilindustrie fand um das Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre statt. Er firmierte damals unter dem Begriff „Lean Production“, wozu das „just in time“-Anlieferungskonzept für die Komponenten gehörte.

Die deutsche Autoindustrie reagierte damals darauf erfolgreich. Sie übernahm die japanischen Produktionsrezepte, was die Individualisierung des Angebots erschwinglicher machte. Statt des Autos von der Stange konnte sich der Kunde fortan sein Auto quasi individuell aus einem Katalog von Motoren und Zubehör zusammenstellen.

Was jetzt ansteht, ist eine weitere Individualisierung. Diese spielt sich aber nicht mehr auf dem Feld der Motortechnik ab, sondern immer mehr in der Verbindung von Auto, Informationssystemen, Smartphone und öffentlicher Infrastruktur.

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Und genau auf diesem entscheidenden Spielfeld stecken die deutschen Hersteller in der Falle: Einerseits wollen sie mit Software und Entertainment punkten. Hierbei geht es um die Schnelligkeit von Entscheidungen, ein Trial-and-Error-Denken, große Kundenorientierung und den Mut, mit 90-Prozent-Lösungen in den Markt zu gehen, die dann so schnell wie möglich durch anschließend aufgespielte Updates verbessert werden. Eine solche Vorgehensweise ist allerdings nicht nur den deutschen Herstellern, sondern auch der deutschen Gesellschaftskultur wesensfremd.

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Das Verhalten der deutschen Hersteller rührt auch daher, dass sich Hardwarefehler traditionell nur mit hohen Kosten beheben lassen, während Softwarefehler recht schnell und kostengünstiger zu beheben sind. Das wiederum unterstreicht, wie wichtig es ist, in zwei Geschwindigkeiten zu denken.

Ein weiteres kommt hinzu: Der Entscheidungsprozess in Deutschland ist generell langwierig, auch weil Probleme zwischen verschiedenen, mitunter untereinander verfeindeten Konzernabteilungen nur Zug um Zug einer Lösung zugeführt werden können.

Die chinesischen Hersteller sind als relative Newcomer am Markt dagegen in der Lage, die gesamte Wertschöpfungskette und das Geschäftsmodell zu hinterfragen. Hinter dem Ziel, Prozesse zu beschleunigen, Kosten zu senken und Innovationen zu fördern, steht ein umfassend erneuertes Wertschöpfungsnetzwerk. Dieses umfasst ein effizientes Lieferkettenmanagement, verkürzte Forschungs- und Entwicklungszyklen sowie ein flexibles Vertriebsmodell.

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Die auf Seiten deutscher Hersteller jetzt verfolgten, isolierten Lösungen wie die Verbesserung der Softwarekompetenz werden also nicht ausreichen, um die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu steigern. Nötig wäre ein grundlegender Paradigmenwechsel.

Angesichts der oben aufgezeigten Faktoren wird deutlich, dass die deutsche Neigung zu behaupten, dass die Chinesen im Automobilsektor mit gezinkten Karten spielen, extrem selbstgefällig ist.

Andreas Herrmann ist Direktor am Institut für Mobilität der Universität St. Gallen. Zheng Han ist Professor of Innovation and Entrepreneurship an der School of Economics and Management, Tongji University in Schanghai.

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