Natürlich habe er von der Diskussion gehört, die das Biopic über Enzo Ferrari in Italien ausgelöst hat, sagt Massimo Bottura und verdreht lächelnd die Augen. „Sie beanstanden, dass keine Italiener darin spielen, dabei stimmt das gar nicht. Zumindest einen gibt es ja, nämlich mich!“ Tatsächlich hat der wohl berühmteste und mit Sicherheit schillerndster Koch des Landes eine winzige Rolle in der Hollywood-Produktion abbekommen, die Ende August bei den Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt wurde und sich mit einer entscheidenden Phase im Leben des 1988 verstorbenen und längst zum Mythos gewordenen Sportwagenkonstrukteurs beschäftigt.
Für einen Meister der Selbstinszenierung, wie Bottura zweifellos einer ist, kommt das einer höheren Weihe gleich, zumal er nicht nur eine ausgeprägte Vorliebe für schnelle Autos hat, sondern genau wie Enzo Ferrari aus Modena stammt, einem Ort also, als dessen größte Leidenschaften gutes Essen und muskulöse Motoren gelten. Modena und die Region Emilia-Romagna sind nämlich nicht nur für eine Fülle an üppigen Eiernudel-Variationen und exzellenten Schinken- und Käsesorten bekannt, sondern zudem als Heimat legendärer Sportwagen- und Motorradschmieden, neben Ferrari auch Maserati, Lamborghini, De Tomaso, Pagani und Ducati.
Im keine 20 Kilometer von Modena entfernten Städtchen Maranello kommen die beiden Passionen im Ristorante „Cavallino“ zusammen, dessen Leitung der Starkoch im Frühjahr 2021 übernommen hat. Eröffnet wurde das Lokal – der Name bedeutet „Pferdchen“ und spielt auf das Logo des Sportwagenbauers an – in den 1950er-Jahren als Kantine für die Belegschaft der Ferrari-Fabrik, danach diente es als Restaurant, in dem der Firmengründer seinen Stammtisch hatte.
Bottura hat die Räumlichkeiten von der französisch-iranischen Stardesignerin India Mahdavi umgestalten lassen. Enzo Ferrari hätte sicher seine Freude an der Einrichtung gehabt. An den Wänden hängen Chassis-Teile von Formel-1-Boliden, Konstruktionszeichnungen ikonischer Modelle und historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Am Eingangsportal, über dem offenen Kamin und auf den Tellern bäumt sich das Ferrari-Pferd auf. Zwischen imposanten Zwölfzylindermotoren und Kurbelwellen sitzt man auf Stühlen, die erstaunlicherweise nicht in sattem Ferrari-Rot gehalten sind wie etwa die Fassade des Lokals, sondern in einem helleren Rotton. „Das liegt daran, dass es sich um Replika des Originalmodells aus den 1960ern handelt“, erklärt der Wirt. „Und das hatte nun mal diese Farbe.“
Dann hievt er sich auf einen Barhocker und fasst sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Oberschenkel. Ein Motorradunfall, sagt er, aber nichts Schlimmes. Zu internationalem Ruhm gekommen ist der Koch mit kunstvollen Dekonstruktionen italienischer Klassiker. In der „Osteria Francescana“, seinem Stammhaus in Modena, das zu den besten Restaurants der Welt gezählt wird, servierte er von der Lasagne nur die knusprige Kruste, seinen Kalbsbraten richtete er an wie ein Gemälde aus der Hochzeit des abstrakten Expressionismus. Im „Cavallino“ setzt er dagegen auf vergleichsweise bodenständige Genüsse, die auch kulinarisch weniger experimentierfreudige Ferrari-Kunden nicht verschrecken sollen.
Ambiente und Service vermitteln gediegene Trattoria-Atmosphäre, genau wie die Speisekarte, die hier mehr auf Tradition als auf Kreativität ausgerichtet ist und vertraute Gerichte wie Tagliatelle al ragù oder Tortelli di zucca listet. „Es ist eine Küche, der man sich nicht verweigern kann“, erklärt Bottura. Zu seinen auffälligsten Kreationen für das Ferrari-Restaurant zählt Cotechino alla Rossini, eine regionale Wurstspezialität aus Schweinefleisch, die er wie ein Rinderfilet behandelt und mit Gänseleber, Sauerkirschen und schwarzem Trüffel veredelt.
Herausragend sind auch die Tortellini, die in einer gleichermaßen charmanten wie herzhaften Parmesan-Creme daherkommen und in der Pasta-Manufaktur Tortellante erzeugt wurden. Die Pasta-Werkstatt ist zugleich ein Sozialprojekt, das Menschen mit Autismus beschäftigt und vom Ehepaar Bottura gegründet wurde, deren Sohn Charlie selbst unter Autismus leidet.
Beibehalten wurde im „Cavallino“ jenes Extrazimmer, in dem Enzo Ferrari, den sie in Maranello nur Commendatore nannten, seine Mahlzeiten mit Freunden oder Geschäftspartnern einnahm und in dem er gerne die Übertragungen von Grand-Prix-Rennen verfolgte. Besichtigen könne man es, sagt Bottura, aber nicht mieten. Es sei reserviert für Ferraris Sohn Piero, die Führungsriege des Betriebs und deren Gäste.
Gemeinsam mit seiner Ehefrau und Geschäftspartnerin Lara Gilmore hat Massimo Bottura in Modena und Umgebung ein Gastronomie-Imperium aufgebaut. Die jüngste Erweiterung ist das Restaurant „Gatto Verde“ (dt.: grüne Katze), das im September in der „Casa Maria Luigia“ eröffnet hat, seinem luxuriösen Boutique-Hotel am Stadtrand.
Die Küche trägt die elegante Handschrift der Kanadierin Jessica Rosval, die lange in der „Osteria Francescana“ tätig war, doch der Chef hat es sich auch hier nicht nehmen lassen, für einen Ferrari-Bezug zu sorgen. „Der Name stammt aus einem Märchen, das Enzo Ferrari einst seinem Sohn erzählt hat“, erklärt er. „Wenn sich die Katze grün färbt, wird alles möglich.“
Die Frage, wie es eigentlich zu seinem Auftritt im Biopic von Hollywood-Regisseur Michael Mann gekommen sei, bringt den Koch zum Strahlen. Wortlos zieht er sein Mobiltelefon aus der Tasche und zeigt dem Besucher das Video von der Szene, in der er selbst, nahezu unkenntlich, mit einem Schnurrbart anstelle des üblichen Vollbartes, in der Livree eines Hotel-Concierge auftaucht. Und von Enzo Ferrari, gespielt von Adam Driver, ein Trinkgeld entgegennimmt. Dabei spricht Bottura den einzigen Satz mit, den er im Film sagt und der mit einem lauten „Grazie Commendatore!“ endet.
Dann steckt er, immer noch strahlend, das Telefon in die Tasche. „Das Filmteam hatte monatelang in Modena zu tun und war immer wieder in meinen Restaurants zu Gast“, erzählt er, „Entweder hier bei Ferrari, in der ‚Osteria Francescana‘ oder in der ‚Casa Maria Luigia‘.“ Dabei habe er sich mit Michael Mann angefreundet. „Eines Tages meinte er zu mir: Du musst unbedingt in dem Film mitspielen, ich gebe dir einen Cameo-Auftritt. Genau das hat er dann auch getan.“
Und wie sieht er das nun ernsthaft mit der Diskussion über das Fehlen von italienischen Schauspielern in dem Film? „Was soll das überhaupt bedeuten?“, fragt er und bewegt – ganz Italiener – eine Hand mit zusammengedrückten Fingerspitzen vor der Brust auf und ab. „Wäre ich der Regisseur, würde ich doch auch mit genau den Schauspielern arbeiten, die ich mir aussuche.“
Dann verabschiedet er sich und humpelt davon, er müsse noch Exemplare seines neuen Kochbuchs signieren, sagt er. Dessen Titel, „Slow Food & Fast Cars“, bezieht sich unmissverständlich auf Modena – Heimat schillernder Köche und Mechaniker, des guten Essens und der schnellen Autos.