Auf TikTok ist es still. Ungewöhnlich still. Die Clips, auf denen bis vor Kurzem im Hintergrund Songs von Popstar Taylor Swift oder Rapper Drake zu hören waren, sind nun stumm. Jetzt sieht man nur noch, wie irgendwelche Teenager stumm ihre Lippen bewegen und tanzen. Dahinter steckt ein Streit um Lizenzgebühren zwischen der chinesischen Social-Media-App des Unternehmens ByteDance und Universal Music, dem größten Musiklabel der Welt.
TikTok habe den Musikern und Songautoren nur „einen Bruchteil“ der auf ähnlichen anderen Online-Plattformen üblichen Vergütung geboten, argumentierte Universal Music in einem offenen Brief, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Zudem lasse TikTok in großem Stil mit Hilfe Künstlicher Intelligenz erstellte Musik auf die Plattform – und wolle vertraglichen Freiraum dafür. Kurz: Universal will mehr Geld und seine Existenzgrundlage sichern. Eine Einigung ist zunächst nicht in Sicht. So lange gibt es eben kein Taylor Swift auf TikTok.
Das könnte auf lange Sicht für Frust bei den Usern sorgen – schließlich ist die Musikfunktion, mit der man seine selbstproduzierten kurzen Videos mit Songs unterlegen kann, eines der Features, wodurch die App groß geworden ist. Noch dazu ist das im Moment nicht TikToks einziges Problem: Es häufen sich Beschwerden über neue Funktionen – und auch die Filmbranche will seine Inhalte auf der App besser schützen. Hat Meta mit Instagram am Ende doch die Nase vorn? Es könnte tatsächlich so sein. Dass es so weit kommen konnte, hat sich TikTok allerdings selbst zuzuschreiben.
Liebling der Gen Z: Trotzdem hat TikTok einige Baustellen
Zwar erfreut sich die App nach wie vor großer Beliebtheit: In den USA informieren sich laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center 43 Prozent hauptsächlich über TikTok. Hierzulande sieht es nicht besser aus: In einer repräsentativen Jugendstudie des Leibniz Instituts stellten die Forscher fest, dass viele der Generation Z fast ausschließlich die App nutzen, um up to date zu sein.
Das liege vor allem daran, dass die Inhalte dort so einfach zu konsumieren sind: unterhaltend, kurzweilig und einfach aufzurufen. Doch genau dieser direkte Konsum von Inhalten wird durch TikTok selbst zunehmend unterbrochen – aus wirtschaftlichen Interessen. Ein Beispiel dafür ist der TikTok Shop, welcher bislang in Deutschland noch nicht verfügbar ist, wohl aber in den USA, Großbritannien und mehreren asiatischen Ländern. Das Onlinemagazin „OMR“ berichtet, dass eine Einführung hierzulande aber in Planung sei.
Dort können die Nutzer, Produkte, die etwa durch Influencer in organischen Videos oder Anzeigen vorgestellt werden, direkt über die App-Oberfläche kaufen. Das Angebot ist lukrativ für die Verkäufer im TikTok-eigenen Onlineshop, denn die App behält weitaus weniger Provision ein als etwa Amazon. Dadurch häufen sich Inhalte dieser Art – TikTok wird zu einer Art QVC der Gen Z.
Zudem experimentiere die App laut dem US-Tech-Magazin „Gizmodo“ mit einem KI-Tool, das im TikTok-Shop verfügbare Produkte sofort erkennt sowie verlinkt, egal ob der User selbst Verkäufer im Shop ist oder nicht – das würde jeden Clip in eine potenzielle Anzeige verwandeln. Das kommt eher dem nervigen Crazy Frog aus der Jamba-Sparabo-Werbung der Nullerjahre gleich als kurzweiliger Unterhaltung.
Zahlreiche Neuerungen: TikTok ist nicht mehr TikTok
Außerdem gibt die App im Wettbewerb mit anderen Anbietern nach und nach seine Alleinstellungsmerkmale auf. So kann man seit einiger Zeit auf TikTok ähnlich wie auf Instagram Bilder posten. Vor kurzem berichtete das Medienmagazin „The Verge“ darüber, dass in naher Zukunft horizontale Videos in einer Länge von bis zu 30 Minuten, ähnlich wie auf YouTube, möglich sein sollen. Mit kurzweiligen Info-Bits hat das nicht mehr so viel zu tun.
Das europäische Urheberrecht erschwert es der App zudem, virale Memes zu verbreiten, die für die Zielgruppe inzwischen Teil der Jugendsprache geworden sind. Das liegt vor allem daran, dass TikTok sich lange schlichtweg nicht darum gekümmert hat, adäquate Lizenzvereinbarungen mit beispielsweise großen Filmstudios oder eben Labels wie Universal zu treffen. Frei nach dem Motto: Wird schon irgendwie gut gehen.
So urteilte das Landgericht München erst kürzlich, dass die Video-Plattform urheberrechtlich geschützte Werke nicht unter Verweis auf laufende Gespräche unentgeltlich nutzen dürfe, wenn sie die Lizenzverhandlungen mit den Rechteinhabern nur zum Schein führt. Im konkreten Fall, so schreibt die DPA, hatte die klagende Firma die Plattform Tiktok auf diverse unberechtigte Veröffentlichungen mehrerer Filme aufmerksam gemacht und der Social-Media-Plattform angeboten, diese kostenpflichtig zu lizenzieren. Zwar nahm TikTok die betreffenden Werke daraufhin von der Plattform, gab aber keine Unterlassungserklärung ab.
Make TikTok great again: Der User-Protest wird kommen
Zudem wird der Diskurs um problematische Filter-Bubbles immer heftiger. Dabei werden den Nutzern der App durch den Algorithmus stetig thematische ähnliche Inhalte angezeigt, wodurch eine einseitige Sicht auf gesellschaftliche Diskurse gefördert werden könnte. Das wird nicht alles spurlos an den Usern vorbeigehen.
Wir erinnern uns: Als Influencerin Kylie Jenner im Sommer 2022 eine Petition auf Instagram mit dem Titel „Make Instagram Instagram again“ teilte, erntete sie viel Zuspruch auf dem Metadienst. Hintergrund war die Tatsache, dass Instagram, um im Rennen mit TikTok mithalten zu können, verstärkt Videoinhalte wie Reels förderte – klassische Fotos aber, die seit jeher die Essenz der App ausmachten, immer unwichtiger machte.
Das sorgte für Frust – und genau das kann auch TikTok passieren. Das Problem ist hausgemacht. Ob die Konsequenzen für unsere Gesellschaft nun gut sind oder zu neuen Probleme führen, wird die Zeit zeigen.
Aktuell löst die App aber noch zahlreiche neue Trends aus – so wie diesen: