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Wie der Standort Deutschland gerettet werden soll

Filmredakteur
Entstand in Deutschland: Tom Cruise in "Valkyrie" Entstand in Deutschland: Tom Cruise in "Valkyrie"
Entstand in Deutschland: Tom Cruise in "Valkyrie"
Quelle: Ronald Grant Archive / Mary Evans Picture Library / picture alliance
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Immer weniger Filme werden in Deutschland gedreht. Immer mehr Produktionen wandern ab nach Tschechien und Ungarn. Schuld daran ist auch das System der deutschen Filmförderung. Das will Claudia Roth jetzt auf den Kopf stellen. Nicht alle werden davon begeistert sein.

Ach, waren das noch Zeiten! Als Quentin Tarantino am ersten Drehtag von „Inglourious Basterds“ in der Marlene-Dietrich-Halle in Babelsberg auf die Knie fiel, aus Respekt vor der großen Geschichte des Ortes. Als Steven Spielberg im Oktobernebel über die Glienicker Brücke schritt, den historischen Ort zwischen Berlin und Potsdam, wo jener Agentenaustausch tatsächlich stattfand, um den es in „Bridge of Spies“ ging.

Vor zehn, 15 Jahren war das. Tempi passati. Heute denkt keine Hollywood-Großproduktion mehr daran, in Deutschland zu drehen. Und das hat mit der vielgeschmähten Filmförderung zu tun. Da gibt es verschiedene Töpfe – mit wohlklingenden Kürzeln wie DFFF und GMPF –, aus denen Filme Zuschüsse erhalten können. Allerdings nur so lange, bis die Mittel erschöpft sind, mit denen die Töpfe befüllt werden.

Dafür zuständig ist der Bundestag, denn es geht ja um Steuergelder, und der entscheidet die Summe jedes Jahr neu; 120 Millionen Euro waren 2022 in dem Topf. Nun wird der Haushalt des Bundes aber üblicherweise erst am Ende des Vorjahres beschlossen, weswegen der DFFF erst dann weiß, wieviel Geld er zur Verfügung haben wird. Das ist aber keine Hilfe für Filmproduktionen, von denen viele schon ein oder zwei Jahre vor Drehbeginn budgetiert werden; wenn die Deutschen keinen konkreten Zuschuss zusagen können, wandert man eben in Länder ab, wo diese Zusage rechtzeitig kommt.

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Nun gibt es Leute, die Zuschüsse allgemein für eine Todsünde wider das marktwirtschaftliche Prinzip halten. Dieser Meinung kann man sein, muss dann aber auch zu den Konsequenzen stehen. Und die bestehen in einer Auflösung des Filmstandorts Deutschland, so wie Deutschland bereits die Textilindustrie, Teile der Pharma- oder Solarindustrie verloren hat.

Ist es mit Fabriken noch relativ schwierig, sie ins Ausland zu verlagern, ist das mit Filmdrehs überhaupt kein Problem; überall gibt es moderne Studios und geschulte Crews. Es geht also vor allem um Wirtschaftsförderung, aber auch die Erhaltung einer nationalen Infrastruktur, die durch Kulturimporte aus dem Ausland nicht ersetzt werden kann.

Es geht längst nicht mehr lediglich um Hollywood-Großproduktionen, sondern auch einheimische Projekte. Der deutsche Vier-Oscar-Paradefilm „Im Westen nichts Neues“ ging 2022 nach Tschechien, weil er dort mehr Förderung erhielt. Das größte deutsche Projekt dieses Jahres, die 50-Millionen-Euro-Produktion „Hagen“ – eine Fantasy-Neuinterpretation des Nibelungenlieds – ging nach Tschechien, weil es dort mehr Förderung erhält.

Zwanzig Prozent Rückgang

Zu „Basterds“- und „Bridge“-Zeiten war die deutsche Förderung konkurrenzfähig, heute ist sie es nicht mehr. Europäische Filmstandorte wie Tschechien, Ungarn, Frankreich, Spanien, Italien, England (und sogar Österreich) sind inzwischen attraktiver. Von Nordamerika gar nicht zu reden, fast jeder US-Bundesstaat hat ein eigenes Filmförderprogramm, und die Förderkonkurrenz zwischen Kalifornien und New York ist besonders intensiv.

Im vergangenen Jahr ist die Anzahl der in Deutschland produzierten Filme um zwanzig Prozent zurückgegangen, nicht nur wegen der Förderproblematik, aber auch deswegen. Und so hat die gesamte deutsche Branche sehnsüchtig auf die Förderreform gewartet, den Tag des großen Wurfes.

Offiziell wird dieser Tag am Donnerstag sein, wenn die Kulturstaatsministerin die Reform zu Beginn der Berlinale verkündet, inoffiziell wurde sie am Dienstag in einem Pressegespräch erläutert. Für Claudia Roth ist es ein „großer Wurf“, auf jeden Fall ist es der größte Umsturz, den es in der deutschen Förderpolitik seit Jahrzehnten gegeben hat.

Deutsche Produktion, entstanden in Tschechien: Oscar-Gewinner "Im Westen nichts Neues"
Deutsche Produktion, entstanden in Tschechien: Oscar-Gewinner "Im Westen nichts Neues"
Quelle: Netflix
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Das Problem der gedeckelten Töpfe wird mit einem Steueranreizmodell beseitigt. DFFF und GMPF werden abgeschafft, an ihre Stelle tritt ein Steueranreizmodell: Bis zu 30 Prozent der anerkannten deutschen Herstellungskosten – vom Catering über die Studiomiete und das Personal bis zur Unterbringung der Beteiligten – können vom Staat zurückgefordert werden, in Form einer Rückzahlung aus den Einnahmen der Körperschafts- und Einkommensteuer.

Damit fällt die Deckelung weg, und der Steueranreiz kann als sichere Einnahmequelle für die Filme eingeplant werden, auch Jahre im Voraus. Da für – beispielsweise – 100 Euro rückgezahlter Steuern aber rund 600 Euro Umsatz durch die Filmproduktion in Deutschland gemacht werden (die nicht entstünden, käme die Produktion nicht hierher), ist das Ganze für alle Beteiligten ein Geschäft, auch für den Fiskus, auch für den Steuerzahler.

Während das Steueranreizmodell automatisch abläuft – nur formale Anträge, keine Prüfung des Projekts –, bleibt die Förderung durch von Jurys begutachtete Filmvorhaben bestehen; der Bund bündelt das bei der Filmförderungsanstalt, die Förderungen der einzelnen Bundesländer werden dadurch nicht tangiert. Die Richtlinien legen allerdings einen größeren Wert als bisher auf erfolgreiche Projekte; ein Produzent, der mit seinen vorhergegangenen Filmen viele Zuschauer ins Kino zog oder auf internationale Festivals eingeladen wurde, kann im Zug der „Referenzförderung“ (also der Betrachtung früherer Erfolge) mit größerer Unterstützung rechnen als ein „unerfolgreicher“.

Während Steueranreiz und Referenzmittel nur in Details umstritten sind, gilt das nicht für die dritte Säule der Reform: die Einführung eines Investitionsverpflichtungsgesetzes. In- und ausländische Veranstalter, die in Deutschland Rufvideo-Dienste (also Streaming-Plattformen und Mediatheken) anbieten, sollen verpflichtet werden, einen bestimmten Anteil ihres Nettoumsatzes in neue deutsche, respektive europäische Werke zu investieren.

Die zu Grunde liegende Überlegung ist, dass Streamer die deutsche Infrastruktur – von den Filmhochschulen über die Studios bis zu den Dienstleistern – benutzen und durch den mit deren Hilfe hergestellten Film weltweite Einnahmen generieren, ohne dem Filmstandort Deutschland etwas zurückzugeben (außer den Gagen für die unmittelbar Beteiligten). Die Investitionsquote würde nach den Vorstellungen von Claudia Roth bei 20 Prozent der Bemessungsgrundlage liegen.

Was mit dem generierten Geld geschehen soll, dafür gibt es vier Möglichkeiten: Man könnte 60 Prozent für neue deutsche Produktionen reservieren (1) oder 70 Prozent in original deutschsprachige Produktionen (2) stecken oder 15 Prozent in reine Kinofilme (3) oder 70 Prozent in Projekte unabhängiger Produzenten (4).

Damit sollen Schlupflöcher geschlossen werden – dass Streamer etwa das Geld an eigene Tochterfirmen verteilen – und Wege geöffnet: Zum Beispiel hätte der hochgelobte Auschwitz-Film „The Zone of Interest“ von der Subquote (2) profitieren können, weil er zwar eine englische Produktion ist, aber komplett auf Deutsch gedreht wurde. Überall steht das Ziel im Vordergrund, Kinofilme und Serien nach Deutschland zurück zu locken.

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Die Investitionsverpflichtung war lange umstritten, weil sie eine zusätzliche finanzielle Belastung der Produzenten darstellt und manche meinen, dass die Abgabe sie erst Recht aus Deutschland vertreiben würde. Nun haben aber auch in letzter Zeit aufgeblühte Standorte wie Italien, Frankreich oder Spanien eine solche Verpflichtung, allerdings kombiniert mit einem Steueranreiz von rund 30 Prozent. Es scheint also auf das Paket und seine Ausgestaltung anzukommen.

Noch an einen weiteren Brocken werden die Streamer zu kauen haben: Die Rechte an Filmen sollen nach fünf Jahren an ihre unabhängigen Produzenten zurückfallen. Das widerspricht den Praktiken der Streamer, die in der Regel zwar höhere Gagen zahlen, aber alle Rechte für sich behalten, „in Ewigkeit, in allen Territorien“, wie es bei ihnen kategorisch heißt. Von Gagen allein können Produzenten jedoch kein Eigenkapital aufbauen, und dieser Mangel ist eine der großen Schwächen der deutschen Produzentenlandschaft. Im Übrigen, so Claudia Roth, soll die Rechteklausel vor allem der Anstoß zu Neuverhandlungen zwischen den Partnern nach dem Ablauf von fünf Jahren sein.

Was in dieser Woche vom Roth-Ministerium kommt, ist kein Gesetz, lediglich ein Referentenentwurf. Vieles muss noch verhandelt werden, mit dem Finanzminister, den Bundestagsfraktionen, den Ländern. Aber am 1. Januar 2025 soll das neue Filmförderungsgesetz in Kraft treten. Alle Beteiligten erwarten das nun.

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