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Stahlindustrie

Kurz vor dem Schmelzpunkt

Von Guido M. Hartmann & Stefan Laurin
Veröffentlicht am 07.05.2024Lesedauer: 5 Minuten
Der Mann mit dem Hammer: Tekin Nasikkol, Gesamtbetriebsratschef bei Thyssenkrupp Steel
Der Mann mit dem Hammer: Tekin Nasikkol, Gesamtbetriebsratschef bei Thyssenkrupp SteelQuelle: dpa

Wegen der schwächelnden Stahlnachfrage will Thyssenkrupp seine Kapazitäten im Ruhrgebiet herunterfahren und einen Investor mit ins Boot holen – die 27.000 Beschäftigten sind in Sorge, die Wissenschaft sieht auch Chancen.

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Den wohl stärksten Auftritt an diesem Vormittag hat Tekin Nasikkol, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Thyssenkrupp Steel Europe. Zur geplanten Verringerung der Produktion und weiterem Personalabbau ruft er von der Bühne herab den Stahlleuten zu, die sich in Duisburg-Bruckhausen versammelt haben: „Das macht uns fassungslos und wütend!“ Dann greift der gebürtige Duisburger zu einem großen Stahlhammer und hält ihn drohend in die Luft. „Wenn der Vorstand mit der Brechstange droht, wird er den Stahlhammer spüren.“

Wenige Tage zuvor hatte die Konzernführung in Essen die Mitarbeiter mit der Nachricht überrascht, dass die EPCG-Gruppe des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky bei Thyssenkrupp Steel einsteigen wird, zunächst mit 20 Prozent. Kurz davor hatte Thyssenkrupp Steel bereits angekündigt, in Duisburg seine Kapazitäten zur Erzeugung und Bearbeitung von jährlich 11,5 Millionen Tonnen Rohstahl auf 9,5 oder gar neun Millionen Tonnen herunterzufahren. Das bedeutet, dass von den rund 13.000 am größten europäischen Stahlstandort beschäftigten Mitarbeitern etwa 20 Prozent um ihren Job bangen müssen; insgesamt beschäftigt Thyssenkrupp in Deutschland im Stahlbereich noch rund 27.000 Menschen, die meisten Standorte liegen in NRW. 3000 Stellen waren hier zuletzt bereits abgebaut worden, jedoch sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen. Das strebe man auch weiterhin an, hatte Konzernchef Miguel López am 26. April vor Journalisten erklärt.

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Vorstandschef Miguel López wollte nicht vor den Beschäftigten der Thyssenkrupp-Stahlsparte sprechen und zunächst die Sitzung des Aufsichtsrates am 23. Mai 2024 abwarten
Vorstandschef Miguel López wollte nicht vor den Beschäftigten der Thyssenkrupp-Stahlsparte sprechen und zunächst die Sitzung des Aufsichtsrates am 23. Mai 2024 abwartenQuelle: dpa

„Stahl ist Zukunft“, rufen die Arbeiter auf der Wiese, die Gewerkschafter auf der großen Bühne und auch die Politiker aus Berlin, Düsseldorf und Duisburg, die an diesem Dienstag nach Bruckhausen gekommen sind. Sie rufen es mit einer Mischung aus Überzeugung, Selbstvergewisserung und Hoffnung.

„Ohne Stahl funktioniert die Welt doch nicht“

Auch Kiram Yusufoglu hat seine Zukunft auf Stahl gebaut. Der Azubi bei Thyssenkrupp Steel ist mit seinen Freunden Moritz und Umut gekommen, alle drei machen eine Ausbildung zum Industriemechaniker. Nach dem Abschluss wollen sie weiterlernen und ihren Abschluss als Techniker machen. „Ich hoffe, dass wir unsere Arbeitsplätze behalten und Familien gründen können“, sagt Yusufoglu. Er glaubt an die grüne Transformation, die Stahlproduktion ohne CO2-Ausstoß: „Wir sind doch auch alle für die Umwelt.“ Dass Stahl weiterhin gebraucht wird, da ist sich auch sein Kumpel Moritz sicher: „Ohne Stahl funktioniert doch die Welt nicht.“

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Azubi Kiram Yusufoglu und seine Freunde Moritz und Umut (v.r.n.l.) waren auch auf der Großdemo in Duisburg, sie machen sich Sorgen um ihre Zukunft
Azubi Kiram Yusufoglu und seine Freunde Moritz und Umut (v.r.n.l.) waren auch auf der Großdemo in Duisburg, sie machen sich Sorgen um ihre ZukunftQuelle: Stefan Laurin

Das ist zwar richtig. Fraglich ist aber, wie viel Stahl angesichts weltweiter Überkapazitäten künftig noch in Deutschland hergestellt werden kann. Im vergangenen Geschäftsjahr musste Thyssenkrupp beim Stahlgeschäft Milliardenabschreibungen vornehmen, die Nachfrage bei gesunkenen Preisen war schwach, hinzu kamen höhere Personal- und Energiekosten, die Stahlbranche gehört zu den energieintensivsten Branchen überhaupt. Zudem schwächelte zuletzt mit der Autoindustrie auch noch der wichtigste Abnehmer. Laut Wirtschaftsvereinigung Stahl wurden im Vorjahr 35,4 Millionen Tonnen Rohstahl produziert, so wenig wie seit der Finanzkrise 2009 nicht mehr. Sie rechnet damit, dass die Nachfrage frühestens 2025 anziehen könnte.

Auch die Duisburgerin Bärbel Bas (SPD), Präsidentin des Deutschen Bundestages, kam aus Solidarität zur Kundgebung am 30. April 2024
Auch die Duisburgerin Bärbel Bas, Präsidentin des Deutschen Bundestages, kam aus Solidarität zur Kundgebung am 30. April 2024Quelle: dpa

Auf der Großdemo erinnerte die aus Duisburg stammende Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) an die Hilfen von Land und Bund, die Thyssenkrupp erst im vergangenen Jahr bekommen hat, um eine neue Anlage zu bauen, mit dem grüner Stahl hergestellt werden kann: „Die Politik hat zwei Milliarden gegeben, damit die Transformation gestaltet werden kann.“ Das Geld, da war sich Bas mit allen einig, verpflichte Thyssenkrupp dazu, gemeinsam mit der Belegschaft und der Politik nach Lösungen zu suchen. Dem schließt sich auch NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) an. Der Konzern stehe „jetzt vor der großen Herausforderung, gemeinsam mit den Sozialpartnern für die Betroffenen faire und tragfähige Lösungen zu finden“, sagte Neubaur WELT. „Das gilt umso mehr, da Thyssenkrupp in den vergangenen Jahren staatliche Unterstützung in Milliardenhöhe erhalten hat.“ Vier Hochöfen betreibt Thyssenkrupp in Duisburg, bei den benachbarten HKM-Werken, an denen der Konzern 50 Prozent hält, laufen zwei weitere solcher Anlagen. Mindestens ein Hochofen dürfte mittelfristig abgeschaltet und zudem mehrere Werke zur Weiterverarbeitung geschlossen werden. Bei Thyssenkrupp will man sich dazu nicht äußern, auch nicht zur Zahl der Mitarbeiter, die abgebaut werden sollen. Zunächst werde am 23. Mai der Aufsichtsrat informiert, sagte Konzernchef López. Er betonte, dass der Einstieg von EPCG keinen Einfluss auf bestehende Tarifverträge und Vereinbarungen zum Kündigungsschutz habe, der bis Ende März des Jahres 2026 gilt. „Wir stehen zu unserem Wort.“

Stahlarbeiter ziehen an einem Hochofen in Duisburg eine Probe. Alleine in Duisburg gibt es sechs solcher Anlagen, nicht alle dürften überleben
Stahlarbeiter ziehen an einem Hochofen in Duisburg eine Probe. Alleine in Duisburg gibt es sechs solcher Anlagen, nicht alle dürften überlebenQuelle: dpa

Der geplanten Transaktion müssen noch die zuständigen Behörden und der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp zustimmen. Ziel ist López zufolge die Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens, an dem beide Partner jeweils 50 Prozent halten. Rückendeckung bekam der Vorstand von der Krupp-Stiftung, die immer noch größte Anteilseignerin ist: „Die Stiftung hat großes Vertrauen in den Vorstand um Miguel López und ist weiterhin von dem Potenzial des Unternehmens überzeugt, wieder wettbewerbs- und dividendenfähig zu werden“, hieß es aus der Villa Hügel in Essen, dem Stammsitz der Familie Krupp, wo die Stiftung ihren Sitz unterhält.

„Qualität bleibt die globale Marktnische“

Für Jens Südekum, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Uni Düsseldorf, wäre es für den Standort Deutschland keine gute Idee, ganz auf Stahlproduktion zu verzichten. „Geht diese Industrie verloren, droht im nächsten Schritt auch die Autoindustrie abzuwandern“, sagte Südekum WELT. Das wäre ökonomisch und politisch „eine Katastrophe“. Das deutsche Geschäftsmodell werde aber niemals die Massenproduktion sein. Länder wie China und Indien würden immer billigeren Stahl anbieten. „Stahl aus Deutschland muss deshalb immer eine Nasenlänge besser sein, Qualität ist die globale Marktnische.“ Das sei schon beim konventionellen Stahl so „und wird in der Zukunft beim grünen Stahl wohl nicht anders sein“.

Für Südekum braucht die Branche ein langfristig tragfähiges Konzept, wie sie die Flaute übersteht und trotzdem neue Strukturen aufbaut. Hierbei könne ein Investor wie Kretinsky helfen. Der komme ja aus der Energiesparte und könne dafür sorgen, „dass genug grüner Wasserstoff nach Duisburg fließt“.