„Wir sind lange nicht über den Berg, wir sind immer noch in schwerem Wasser“, räumte Robert Habeck bei der gestrigen Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts ein. Die Wachstumsprognose für das laufende Jahr schrumpfe auf die „klägliche Zahl“ von 0,2 %. An die Union adressierte der Bundeswirtschaftsminister die Forderung, dem Wachstumschancengesetz „endlich grünes Licht“ zu geben. Zugleich relativierte er dessen Wirkung zum „Baby-Elefanten“. „Wirtschaft vor dem Absturz – Ampel ohne Kurs?“, fragte Maybrit Illner die Bundesvorsitzenden von FDP und Grünen, Christian Lindner und Ricarda Lang, sowie den Ökonom und Politikberater Clemens Fuest und Bertram Kawlath vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA).
„Wir müssen die Wirtschaft zum Laufen bringen“, insistierte Kawlath. Als Vizepräsident des Verbands vertrete er 3.600 Unternehmen mit insgesamt 1,3 Millionen Beschäftigten. „Wir sind die, die den Kuchen größer machen wollen. Es fühlt sich nur manchmal so an, als ob wir im Morast laufen.“ Unterstützung bleibe zumeist im „Regulierungssumpf“ stecken, kritisierte er. Und auch das Wachstumschancengesetz möge „gut gewollt“ sein, aber das ursprünglich geplante Entlastungsvolumen von 7 Milliarden Euro sei schon jetzt auf 3,5 Milliarden Euro geschrumpft.
Christian Lindner gab dem Unternehmer und damit auch dem Vizekanzler recht. Das vorgelegte Gesetz sei „recht klein geworden“, müsse aber dennoch „rasch kommen“. Er begreife es „als Trailer, als Ouvertüre“ für weitere Maßnahmen. Dazu gehörten zwar auch Investitionen in „Pilotprojekte“ wie dem grünen Stahl, führte der Finanzminister aus, doch sein Hauptaugenmerk richte er auf die deutsche Wirtschaft insgesamt. Er wolle für alle „gleich wenig Bürokratie“, einen „gleich guten Arbeitsmarkt“ und „gleich wenig steuerliche Belastung“. Politik, die über die Wirtschaftsstruktur entscheide, widerspreche seinem „Grundverständnis“.
„Wir kommen aus unterschiedlichen Denkschulen“, erklärte Ricarda Lang die Abweichungen zwischen ihrem und Lindners wirtschaftspolitischem Weltbild. Während der FDP-Politiker für eine allgemeine Erleichterung stehe, fordere sie „gezielte Investitionen“. Es gehe darum, die Wirtschaft „bei der Modernisierung zu unterstützen“ und die „Technologieführerschaft in einem geopolitischen Wettbewerb“ zu erreichen. „Wir erleben tatsächlich das Ende vom Ende der Geschichte“, warnte die Grünen-Politikerin in Abwandlung eines geflügelten Worts von Francis Fukuyama vor einer neuen Systemkonkurrenz, die Investitionen erzwinge.
Vor allem Verteidigungsfragen spielen angesichts der russischen Aggression eine bedeutende Rolle. „Wirtschaftliche Stärke ist ein Faktor der Geopolitik“, unterstrich Christian Lindner. Auch dadurch hätten sich die liberalen Demokratien gegen die Sowjetunion durchsetzen können. „Wir sind solidarisch mit der Ukraine“, bekräftigte der FDP-Vorsitzende. Und da „wir selbst über kurz oder lang in dramatischer Weise bedroht“ werden könnten, müsse Deutschland „sehr viel mehr“ für seine Wehrhaftigkeit tun. Statt dafür Schulden aufzunehmen, müsse das jedoch „im Rahmen der regulären Staatsfinanzen funktionieren“.
Lang unterstützte die Forderung nach erhöhten Verteidigungsausgaben, verwies dabei aber auf „andere Möglichkeiten der Finanzierung“ wie etwa ein aufgestocktes Sondervermögen oder die Reformierung der Schuldenbremse. „Wir dürfen die Sicherheit nach außen nicht gegen die soziale Sicherheit im Land ausspielen. Dann verlieren wir den Rückhalt“, sagte die Grünen-Vorsitzende, „und das wird nicht aus dem laufenden Haushalt gelingen“. Die Frage nach Investitionen in die Verteidigung werde Deutschland aus ihrer Sicht „nicht zwei Jahre, sondern 20 Jahre beschäftigen“.
Im Gegensatz zu Lang hob Clemens Fuest Einsparungen als Notwendigkeit hervor. „Kanonen und Butter? Es wäre schön, wenn das ginge, aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht“, urteilte der Ökonom, „Wir werden Einbußen haben“. In Anbetracht einer sich verändernden Welt müsse die Politik der Bevölkerung offener mitteilen, dass die Mittel noch für die „Basics“ reichen, statt ihnen stets Schutz zu versprechen und sie damit wie Kinder zu behandeln. Zu besagten Grundlagen zählte Fuest vor allem einen eingeschränkten Sozialstaat. „Wir werden ihn weiter finanzieren, aber er wird halt kleiner ausfallen.“