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Wirtschaft Deutsche sparen am Wein

Die Öko-Hoffnung der kriselnden Winzer

Wirtschaftskorrespondent
Woman working in vineyard, Baden-Wurttemberg, Germany Woman working in vineyard, Baden-Wurttemberg, Germany
Quelle: Getty Images/Image Source/Sigrid Gombert
Weltweit wird mehr Wein produziert als getrunken. Große Mengen werden deshalb zu billigem Industriealkohol verarbeitet, auf Kosten der EU. Auch deutsche Winzer sind betroffen. Nun soll ein umweltfreundliches Alleinstellungsmerkmal helfen.

Weltweit wird zu viel Wein hergestellt. Während die globale Produktionsmenge in den vergangenen Jahren stets bei rund 260 Millionen Hektolitern lag, pendelte sich der Konsum der Statistik zufolge lediglich im Bereich von 230 Millionen Hektolitern ein. Überschüssige Mengen werden nun vielfach auf Kosten der Europäischen Union (EU) zu billigem Industriealkohol verarbeitet.

Krisendestillation heißt dieser Eingriff in den Markt, für den Brüssel eine Sondererlaubnis erteilt hat – und viel Geld bezahlt. Rund 105 Millionen Euro sind seit Anfang 2023 geflossen, um aus unverkauftem Wein billigen Alkohol zu brennen, den die Industrie unter anderem zur Herstellung von Reinigungs- oder Desinfektionsmitteln nutzt oder zur Verarbeitung in Kosmetik- und Medizinprodukten.

Quelle: Infografik WELT

Die mit Abstand höchsten Kosten entfielen dabei auf Frankreich, die Rede ist von fast 70 Millionen Euro. Dahinter folgen dann Portugal und Italien mit 18 und 15 Millionen Euro. Aber auch deutsche Winzer nutzen das EU-Hilfsprogramm, konkret 49 Weingüter, Privatkellereien und Genossenschaften aus dem Anbaugebiet Württemberg. 8,3 Millionen Liter der regionaltypischen Rotweinsorten Trollinger und Schwarzriesling haben sie zur Destillation angemeldet, heißt es vom zuständigen Ministerium in Stuttgart. Das sind rund acht Prozent der jährlich verkauften Weinmenge aus Württemberg.

Bislang handelt es sich um einen Einzelfall in Deutschland. Doch das kann sich schnell ändern. Denn die Lage auf dem hiesigen Weinmarkt ist angespannt, meldet das Deutsche Weininstitut (DWI) am Rande der mit 5400 Ausstellern weltgrößten Branchenmesse ProWein in Düsseldorf.

Zwar ist der Umsatz 2023 stabil geblieben – allerdings nur aufgrund von Preiserhöhungen. Beim Absatz wiederum gab es ein Minus von vier Prozent, berichtet DWI-Geschäftsführerin Monika Reule. Damit sei im Schnitt eine Flasche Wein weniger pro Person getrunken worden als im Vorjahr. Aber was aus ihrer Sicht noch viel schlimmer ist: Die Käuferreichweite – gemeint ist die Zahl der Haushalte, die mindestens einmal pro Jahr Wein kaufen – lag deutliche 4,5 Prozentpunkte niedriger als noch 2022.

Vor allem einkommensschwache Haushalte haben auf Weinkäufe verzichtet, meldet das DWI mit Verweis auf Daten aus dem Haushaltspanel der Marktforscher von NielsenIQ. Dazu komme noch eine weitere Auswirkung der „schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ im Rezessionsjahr 2023. „Die Haushalte sahen sich aufgrund der inflationsbedingten Kaufkraftverluste gezwungen, auch beim Weineinkauf verstärkt auf den Preis zu achten“, sagt Branchenvertreterin Reule.

Durchschnittspreis für einen Liter deutschen Wein: 4,51 Euro

Das trifft vor allem die deutschen Winzer – weil sie die Preise am stärksten erhöht haben. „Seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges sind die Betriebskosten der heimischen Erzeuger um 30 Prozent gestiegen“, berichtet Reule und nennt exemplarisch die Aufschläge bei Energie, Glas, Pflanzenschutz oder auch den Löhnen. „All das hat Preiserhöhungen unumgänglich gemacht.“ Um 31 Cent auf 4,51 Euro ist der Durchschnittspreis für einen Liter Wein aus Deutschland 2023 gestiegen, zeigen aktuelle DWI-Zahlen.

Zum Vergleich: Für importierte Ware wurden im Schnitt 3,76 Euro je Liter fällig, elf Cent mehr als ein Jahr zuvor. „Andere Länder haben ganz andere Produktionskosten“, begründet Reule die Differenz. Denn dort gebe es zumeist keinen Steilhang, der die Bewirtschaftung anstrengend und teuer macht, und vielfach auch deutlich niedrigere Mindestlöhne. Am Ende hätten diese unterschiedlichen Preisniveaus dann Wirkung gezeigt. „Da treten ansonsten hoch geschätzte Werte wie Regionalität beim Einkauf notgedrungen etwas in den Hintergrund.“

Um stattliche neun Prozent ist der Absatz deutscher Weine hierzulande eingebrochen, bei den ausländischen Tropfen dagegen lag das Minus lediglich bei einem Prozent. Der Marktanteil von Inlandsware hat sich dadurch um zwei Prozentpunkte reduziert auf nunmehr 42 Prozent. Dahinter folgen Weine aus Italien mit 17 Prozent Marktanteil, vor Erzeugnissen aus Spanien mit 14 Prozent sowie Frankreich mit zehn Prozent.

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Erfolge verzeichnen die deutschen Winzer dagegen im Export. Um vier Prozent auf 384 Millionen Euro ist der Ausfuhrwert im vergangenen Jahr gestiegen, berichtet das Weininstitut. Hauptabnehmer sind die USA, gefolgt von Norwegen, den Niederlanden und Polen. Gefragt ist dabei jenseits der Grenze vor allem Riesling. „Für diese Rebsorte ist Deutschland mittlerweile weltweit bekannt“, sagt DWI-Chefin Reule.

Ausbauen will die Branche aber auch das Geschäft mit sogenannten PIWIs. Die Abkürzung steht für „pilzwiderstandsfähige Rebsorten“, die von Natur aus robust sind gegen Krankheiten und dementsprechend deutlich weniger Pflanzenschutz benötigen. „Klassische Rebsorten haben ein Nachhaltigkeitsproblem“, sagt Felix Hoffmann, der Mitgründer und Geschäftsführer des Winzerzusammenschlusses Zukunftsweine.

Zehn- bis zwölfmal müssten die Rebstöcke pro Wirtschaftsjahr gespritzt werden. „Bei PIWIs reichen drei Spritzungen.“ Und das reduziere nicht nur den Chemieeinsatz, sondern wegen in der Folge deutlich weniger Traktorfahrten auch den CO₂-Verbrauch und die Bodenverdichtung.

Anteil von PIWI-Sorten soll deutlich steigen

Mittlerweile 66 Weingüter haben sich der Bewegung Zukunftsweine angeschlossen, darunter bekannte Häuser wie Kloster Eberbach. Und das soll nun noch stärker nach außen getragen werden. „Deutschland ist führend bei der Züchtung von PIWIs“, sagt Branchenlobbyistin Reule. „Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, das wir nutzen möchten.“ Und erste Erfolge gebe es nun bereits in Skandinavien.

Der Anteil von PIWI-Sorten wie Johanniter, Regent, Bronner, Cabernet Carbon oder auch Muscaris an den Rebflächen in Deutschland liegt aktuell bei rund drei Prozent, soll in den kommenden Jahren aber deutlich steigen. Wobei der Moment für die Winzer passen muss – denn Rebanlagen sind üblicherweise für 30 bis 40 Jahre angelegt.

In Frankreich ist dieser lange Zeitraum mitverantwortlich für die gewaltigen Überkapazitäten. Zwar geht der Konsum im Nachbarland schon seit vielen Jahren steil bergab aufgrund von veränderten Konsumgewohnheiten. Lag er 1990 noch bei rund 44 Millionen Hektolitern, waren es 2022 nur noch 24,9 Millionen und damit fast 44 Prozent weniger. Dazu kommt, dass auch in vielen Exportdestinationen für französischen Wein der Konsum rückläufig ist.

Quelle: Infografik WELT

Gleichwohl haben sich die Rebflächen in Frankreich im Zeitraum zwischen 1990 und 2022 nur um gut 15 Prozent reduziert. Das könnte sich nach den massenhaften Krisendestillationen der vergangenen Monate aber bald ändern. Bernard Farges jedenfalls, der Präsident des französischen Weinbauverbandes CNIV, richtet klare Worte an seine Branche: Man müsse der Realität endlich ins Auge zu blicken und anerkennen, dass in Frankreich zu viele Reben stünden und dass eine Rodung mittlerweile alternativlos ist. Farges spricht sogar von 100.000 Hektar – was ungefähr der gesamten Anbaufläche in Deutschland entspricht.

Experten begrüßen einen solchen Schritt. „Da die Menschen in Europa allgemein weniger Wein kaufen, ist es sinnvoller, die Rebflächen zu reduzieren“, sagt Simone Loose, Professorin für Weinwirtschaft an der Hochschule Geisenheim. Die frei werdenden Flächen könnten dann genutzt werden für zum Beispiel andere Agrarprodukte oder für Biodiversitätsflächen. Zumal sie eine dauerhafte Krisendestillation für falsch hält. Natürlich habe das Produkt dann immer noch einen Nutzen. „Der Prozess ist allerdings sehr unwirtschaftlich. Industriealkohol lasse sich auch deutlich günstiger produzieren.“

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