Eine Minute kann für den Einsatz von Rettungshelikoptern eine entscheidende Rolle spielen. „Bei Tagstationen der Luftrettung darf der Rettungshubschrauber eine Minute vor Sonnenuntergang noch starten, eine Minute danach muss er am Boden bleiben“, sagt ein Sprecher der gemeinnützigen ADAC-Luftrettung.
Selbst bei schweren Unfällen darf der Helikopter mit dem Notarzt an Bord dann nicht starten. Gesetz ist nun einmal Gesetz. Ob und bis wann in der Dämmerung und in der Nacht geflogen werden darf, regelt jedes Bundesland unterschiedlich.
Doch die Einschränkungen bei Nacht- und Dämmerungsflügen rücken gerade zunehmend in den Fokus der Gesundheitspolitik. Angesichts zunehmender Klinikschließungen fordern Verbände und Politiker aus mehreren Parteien eine Ausweitung der Nachtflüge, um die Versorgung von Patienten künftig ohne Verzögerung zu gewährleisten.
Marco K. König, erster Vorsitzender des Deutschen Berufsverbands Rettungsdienst (DBRD), ist skeptisch, ob Krankenhäuser – wie durch den bisherigen Entwurf der Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgesehen – auch in Zukunft innerhalb von 30 Minuten per Auto erreichbar sein werden.
„Das Intervall von 30 Minuten wird angesichts der Ausdünnung der Kliniken im ländlichen Raum künftig nur durch einen verstärkten Einsatz der Luftrettung möglich sein“, sagt König.
Diese sieht der Verbandschef in Deutschland prinzipiell sehr gut aufgestellt. Sie könnte mehr Einsätze fliegen, sagt er. Allerdings gelte dies nicht für Nachtflüge. Diese würden wesentlich strengeren Bestimmungen unterliegen. „Die Luftrettung ist momentan nicht für zusätzliche Nachteinsätze gerüstet“, so König.
Bürger mobilisieren gegen Nachtflugstationen
Krystian Pracz, Vorstandschef der DRF Luftrettung, sieht ebenfalls Defizite im Nachtflug. „Derzeit sind von 83 Luftrettungsstationen in Deutschland nur 16 Stationen für Nachtflüge ausgerichtet. Zudem besteht hier ein gravierendes Ost-West-Gefälle, denn im Westen bestehen derzeit im Vergleich kaum Möglichkeiten zu Nachtflügen“, so Pracz.
Angesichts der sich abzeichnenden Ausdünnung von Kliniken plädiert er für eine Ausweitung der Luftrettung in der Nacht und in der Dämmerung. „Flüge in der Dämmerung sollten in allen Bundesländern erlaubt werden“, sagte Pracz.
Vom technischen Standpunkt aus wäre die DRF Luftrettung, aber auch die anderen Luftrettungsorganisationen, imstande, vermehrte Nachtflüge durchzuführen. Probleme sieht Pracz jedoch in den Genehmigungen, die in der Regel von den Innenministerien der Länder erteilt werden.
„Genehmigungen für Nachtflüge sind sehr schwer zu bekommen, da viele Bürger sich von dem Lärm der Helikopter gestört fühlen. Insbesondere in den letzten Jahren erleben wir, dass Bürger zunehmend gegen geplante Nachtflugstationen mobilisieren“, so Pracz.
Gleichzeitig verspricht er, zusammen mit der Bevölkerung Lösungen gegen den Lärm suchen zu wollen. „Der Helikopter muss ja nicht immer zurück zur Basisstation, sondern könnte beispielsweise – wenn möglich – auch zwischen zwei Einsätzen auf dem Landeplatz einer Klinik verbleiben. Das reduziert die Flugbewegungen an der Basisstation und auch insgesamt. Aber Fakt ist nun einmal, dass solche Rettungsflüge eben Lärm verursachen“, so Pracz.
Verlegung zu Spezialversorgern
Eine Ausweitung der Luftrettung wird mittlerweile sowohl von Regierungs- als auch Oppositionsparteien gefordert. Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen, sieht die Luftrettung als „wichtigen Baustein“ zur Sicherstellung der medizinischen Notfallversorgung im ländlichen Raum, die mit Blick auf die Verlegung von Patienten aus wohnortnahen Kliniken der Basisversorgung zu Spezialversorgern „an Bedeutung zunehmen“ würde.
„Neben gesetzlichen Anpassungen zur Ermöglichung von Instrumentenflugverfahren für Rettungshubschrauber bei schlechten Wetterverhältnissen muss auch die Anzahl der bei Dunkelheit verfügbaren Luftrettungsmittel flächendeckend erhöht werden“, fordert Dahmen. Zusätzlich bedürfe es eines flächendeckenden Ausbaus und der Modernisierung von Landeplätzen an Krankenhäusern.
Auch Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP Bundestagsfraktion, fordert den Ausbau der Luftrettung.
„Die Krankenhausreform bietet den Ländern die Möglichkeit, die Notfallversorgung so auszugestalten, dass jeder Notfall schnell und adäquat behandelt wird. Dazu gehört auch explizit der Ausbau der Luftrettung, denn bereits heute ist die örtlich naheliegendste Klinik nicht immer die beste Klinik“, so Ullmann.
Laut Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, könnte die Luftrettung „die Notfallversorgung in Zukunft noch viel stärker unterstützen, gerade in entlegenen Gegenden“. So könne die Luftrettung in vielen Regionen Versorgungslücken schließen, die durch die veränderte Krankenhauslandschaft entstehen würden.
Für die Einschränkung von Nachtflügen hat Sorge kein Verständnis. „Geht es um Notfälle, darf es keine Rücksicht auf Nachtflugverbote geben. Niemand käme auf die Idee, bei Notarztwagen die Überschreitung von Geschwindigkeitsbegrenzungen zu ahnden oder für sie gar ein Nachtfahrverbot zu verhängen“, so Sorge.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) teilt angesichts der Forderungen nach einer Ausweitung der Luftrettung mit, an einer Rettungsdienstreform zu arbeiten. Zugleich weist das BMG darauf hin, dass die Organisation des Rettungsdienstes Ländersache sei. Reformdetails könne das BMG zum jetzigen Zeitpunkt keine mitteilen.