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Wissenschaft Superfood

Warum Chia plötzlich zu einem Hoffnungsträger wird

Chia-Samen mit Heidelbeeren ergeben eine gesunde Zwischenmahlzeit Chia-Samen mit Heidelbeeren ergeben eine gesunde Zwischenmahlzeit
Die Samen sind reich an Nährstoffen, doch in Chia steckt noch mehr
Quelle: Getty Images/ Westend61
Nutzpflanzen sollen ertragreich sein, aber auch widerstandsfähig. Weil Mais und Weizen durch den Klimawandel an Grenzen gelangen, sind andere Arten gefragt: Chia zum Beispiel. Eine exotische Pflanze – mit Vorteilen für Ernährung und Landwirtschaft. Sie wird neuerdings auch in Deutschland angebaut.

Amaranth, Mais, Bohnen und Chia – das waren die vier „Säulen“ der aztekischen Ernährung. Und was schon vor Tausenden von Jahren in Mittelamerika den Hunger stillte, als Getränk erfrischte oder den Göttern als Opfergabe dargebracht wurde, ist heute international Trend: Die Samen der Chiapflanze sind nur knapp zwei Millimeter groß, aber reich an Nährstoffen. Das macht sie zum „Superfood“.

Ernährungsbewusste streuen sich die graubraunen und weißen Ölsaaten nun über Salate, rühren sie in Smoothies und Milchprodukte oder nutzen sie als Ei-Ersatz. Das Interesse an Chia nimmt zu – und könnte sich als Segen für die Pflanzenzucht erweisen: Es liefert Forschern gute Argumente, sich verstärkt auch um solche Exoten zu kümmern. „Das ist lange überfällig“, sagt etwa Simone Graeff-Hönninger, Professorin für Pflanzenbau an der Universität Hohenheim, die noch nicht etablierte Arten, darunter Chia, für den heimischen Anbau kultiviert. „Wir müssen diese Ressourcen dringend nutzen, um dem Klimawandel, dem Artenverlust, der Trockenheit und anderen aktuellen Herausforderungen zu begegnen.“

Auch in Deutschland müsse der Anbau deshalb vielfältiger werden, sagt Graeff-Hönninger: „Im schlimmsten Fall können wir in Zukunft gewisse Kulturpflanzen nicht mehr anbauen, weil es zu trocken oder zu heiß ist. Weizen und Mais beispielsweise reagieren sehr empfindlich auf klimabedingte Veränderungen, vor allem in Bezug auf den Wasserhaushalt. Also müssen wir uns frühzeitig Gedanken darüber machen, welche Alternativen es gibt.“

Dabei hilft der Blick über den nationalen Tellerrand – und zurück in der Geschichte: So vielfältig die kulinarischen Traditionen in den unterschiedlichen Regionen der Erde sind, so sehr herrscht inzwischen Gleichförmigkeit. Obwohl schätzungsweise 7000 Pflanzenarten weltweit zu irgendeinem Zeitpunkt von Menschen kultiviert wurden, spielen weniger als Hundert noch eine Rolle. Vor allem Mais, Weizen und Reis ernähren heute die Welt und dieser enge Fokus wird zunehmend zum Problem.

Robuste Vielfalt für die Zukunft

Die „Grüne Revolution“, die Mitte des 20. Jahrhunderts die Landwirtschaft erfasste, führte dazu, dass man sich in Monokulturen auf wenige Arten und ertragreiche Sorten konzentrierte. Doch jetzt sind Pflanzen mit anderen Eigenschaften gefragt, um die Landwirtschaft klima- und krisenfester zu machen, abgestimmt auf die Veränderungen in der jeweiligen Region. Bislang vernachlässigte Nutzpflanzen wie eben Chia, eine Salbei-Art, könnten als Lieferant wertvoller Nährstoffe eine bedeutende Rolle spielen. Erst kürzlich haben US-Forscher das Genom dieser Pflanze mit Blick auf molekulare Prozesse in den Samen entschlüsselt, die sie zum begehrten „Superfood“ machen durch Einflüsse auf den Nährstoffgehalt. Daran kann jetzt die Züchtung ansetzen.

Gehört solchen Exoten die Zukunft? „Ich glaube tatsächlich, dass diese Arten jetzt die Aufmerksamkeit bekommen, die ihnen zusteht – und jeder davon profitiert“, sagt der in Nigeria geborene Pflanzengenetiker Oluwaseyi Shorinola von der University of Birmingham. „Bei der ersten Grünen Revolution ging es vor allem darum, die Ergiebigkeit zu verbessern, so dass die Nutzpflanzen gut auf Dünger ansprechen und mehr tragen“, erklärt Shorinola. „Jetzt stehen wir aber vor klimatischen Herausforderungen. Ich vermute, dass die nächste Grüne Revolution auf Widerstandskraft gegen Dürre, Hitze und Überschwemmungen fokussieren wird.“

Wie etliche andere Nutzpflanzen auch hatte Chia bisher überwiegend lokale oder regionale Bedeutung. Dieser Mexikanische Salbei (Salvia hispanica) fällt somit in die Kategorie der „orphan crops“, wörtlich: Waisenpflanzen, den vernachlässigten beziehungsweise indigenen Sorten. Wobei Wissenschaftler in diesem Zusammenhang oft den Begriff „underutilized“ bevorzugen, um zu betonen, dass diese Arten „zu wenig genutzt“ werden. Eine genaue Definition fehlt, in erster Linie geht es darum, Arten, die auf dem Weltmarkt, in der Züchtung und in der Wissenschaft bestenfalls eine Nebenrolle spielen, von dominanten Getreidearten, Hülsenfrüchten, Wurzel- oder Knollengemüse abzugrenzen.

Der große Unterschied: In der Praxis werden die vorherrschenden Arten wie Mais oder Soja auf den fruchtbarsten Böden angebaut, mit Dünger gehegt und mit Pestiziden gepflegt. Der große Rest muss mit minderwertigen, trockenen Ackerflächen zurechtkommen, überwiegend angebaut von Kleinbauern. Für sie selbst und die lokale Bevölkerung sind derart gut angepasste und somit robuste Nutzpflanzen die Basis der alltäglichen Ernährung. Und davon könnten weit mehr Menschen profitieren, besonders in Afrika.

„Die Länder dort könnten sich leicht selbst ernähren, weil der Kontinent eine Schatztruhe in Bezug auf die Vielfalt der Nutzpflanzen und Nutztiere ist“, sagt Tafadzwanshe Mabhaudhi. Er ist Professor für Climate Change, Food Systems and Health an der London School of Hygiene and Tropical Medicine und sagt: „Stattdessen wurde 2020 gezeigt, dass ein Fünftel der Bevölkerung auf dem Kontinent, also mehr als 280 Millionen Menschen, von Hunger bedroht ist.“ Diese Zahl sei wegen der Pandemie, mehreren Dürren und Überschwemmungen wahrscheinlich noch gestiegen. „Wir müssen in Bezug auf unsere Ernährung und Gesundheit komplett umdenken“, meint Mabhaudhi.

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Der Klimawandel mit steigenden Temperaturen, Hitzerekorden und unberechenbaren oder ganz ausbleibenden Regenfällen könnte den Prozess beschleunigen. Dieses neue Normal macht Weizen und anderen dominanten Arten weltweit zu schaffen. Wie stark sich die Erträge verändern werden, hängt von der Region und der Pflanzenart ab, wie ein internationales Forscherteam mit deutscher Beteiligung 2021 im Fachjournal „Nature Foodzeigte. Allerdings besteht kein Zweifel daran, dass sich auch erfolgreiche Agrarnationen wie die USA und Deutschland vorbereiten müssen.

Manche Forscher versuchen gegenzusteuern, indem sie die dominanten Nutzpflanzen entsprechend aufrüsten und zum Beispiel in der Zucht auf Varianten mit robusten Eigenschaften setzen. Eine andere Möglichkeit ist, resistente Verwandtschaft einzukreuzen. Oder aber man fördert die Forschung an „orphan crops“, die ohnehin an widrige Umstände angepasst sind. „Wenn wir verstehen, wie sie das machen, können wir vielleicht auch die wichtigen Nutzpflanzen resilienter machen“, erklärt Shorinola.

Er war bereits an mehreren Studien beteiligt, in denen man es sich zum Ziel setzte, die Genome wenig genutzter Pflanzenarten zu entschlüsseln, etwa der Helmbohne (Lablab purpureus). „Die Entschlüsselung des Genoms allein reicht aber nicht“, sagt der nigerianische Genetiker, „wir müssen das Wissen der Bauern, Züchter und Biologen nutzen, um die Pflanzengenome zu verbessern. Das kann bis zu zehn Jahre dauern.“ Aber man habe jetzt „Werkzeuge“ wie die molekulare Genschere Crispr-Cas zur Verfügung. Durch die lasse sich der Prozess, etwa durch gezielte Eingriffe oder geschickte Selektion, im Labor beschleunigen.

Regionaler Anbau erleichtert Transport

Solche vernachlässigten Kulturpflanzen stärker zu nutzen, könnte sich in mehrfacher Hinsicht positiv auswirken: „Diese Arten würden unsere Ernährung diverser und ausgewogener machen, was Nährstoffe angeht“, ist Shorinola überzeugt. „Wir würden mehr Nahrungssicherheit haben, unsere Gesundheit und die Wirtschaft fördern, aber auch die Umwelt.“ Ohne Wissenschaft und Pflanzenzucht kann die nächste Grüne Revolution nicht gelingen. Und sie braucht den passenden politischen Rahmen, um die Forschung entsprechend zu fördern und der Landwirtschaft Anreize zu bieten. Damit man sich dieser Arten annimmt, bevor das Wissen um ihre Kultivierung schwindet, wie der in London lehrende Mabhaudhi betont.

Zudem wünscht er sich Kampagnen in den Heimatregionen der Pflanzen, die über deren Vorteile aufklären und sie vom Stigma des „Arme-Leute-Essens“ befreien. „Nährreiche und robuste Arten wie die Bambara-Erdnuss, Sorghum, afrikanische Blattgemüse wie Amaranth und wilder Senf könnten nicht nur zur Versorgung. Sondern auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit beitragen, weil sie zu Afrikas Erbe an natürlichen und sozialen Ressourcen gehören“, sagt der Experte für nachhaltige und resiliente Nahrungsproduktion. Grundsätzlich könne jede Gesellschaft, egal in welchem Land oder auf welchem Kontinent, ihre Geschichte zurückverfolgen – bis zu einer Zeit, als sich in den Töpfen noch mehr Vielfalt befand. „Die können wir mit ‚vergessenen‘ Nutzpflanzen wiederentdecken und würdigen“, sagt Mabhaudhi.

Chia-Samen sind nur knapp zwei Millimeter groß und haben eine helle oder graubraun Färbung
Nur knapp zwei Millimeter groß, doch in den feinen Chia-Samen steckt viel Protein
Quelle: Getty Images

Bei Chia gelang Forschern mit Blick auf die Gene bereits ein Züchtungserfolg. Diese Salbei-Pflanze ist in Mittel- und Südamerika heimisch, wird mittlerweile aber auch im Süden der USA, in Australien und in Afrika angebaut. Chia mag nährstoffreiche Böden, hält jedoch Trockenstress gut aus. Für den Anbau in Deutschland ist das Klima in Kombination mit der Tageslänge problematisch. Aber Simone Graeff-Hönninger und ihren Kollegen an der Universität Hohenheim gelang es, eine Variante zu züchten, die im deutschen Sommer aufblüht und dann fett- und proteinreiche Samen bildet. Vor drei Jahren hat das Bundessortenamt die Chia-Sorte „Juana“ freigegeben, einem regionalen Anbau steht seither nichts mehr im Weg. Dieser erleichtert Transport sowie Logistik, und die Pestizidbelastung lässt sich einschränken und besser kontrollieren.

Die kommerziellen Nutzungsrechte hält die Südwestdeutsche Saatzucht in Rastatt, die ebenfalls die in der Schweiz entwickelte Sorte „Pablo“ vertreibt. „Wir haben ein gutes Gefühl“, sagt Felix Grebhardt, der zuständige Ansprechpartner im Unternehmen, „das Interesse der Landwirte ist groß und vergangenes Jahr wurden insgesamt schon mehr als 100 Hektar mit Chia bepflanzt.“ Aber es dauere einfach, bis sich eine stabile Verarbeitungskette – vom Acker bis zum Supermarkt – etabliert habe, wie man sie etwa vom Weizen kennen würde. Die Verbraucher könnten jetzt schon in ausgewählten Läden Chia aus deutschem Anbau beziehen, müssten aber bereit sein, dafür auch mehr zu zahlen.

Reich an Nährstoffen

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Samen der Chiapflanze (Salvia hispanica) gibt es hell wie dunkel – und gelten als gesund. So sollen sie helfen, den Blutdruck und Cholesterinspiegel zu senken, den Blutzucker zu stabilisieren, sich also insgesamt positiv auf Herz und Kreislauf auswirken. Ihnen werden zudem antimikrobielle und antientzündliche Effekte zugeschrieben, wobei nicht jeder einzelne zweifelsfrei belegt ist. Sicher ist jedoch, dass sie reich an Proteinen, Ballaststoffen, ungesättigten Fettsäuren, einigen Mineralien und sogenannten Antioxidantien sind.

Dieser Artikel ist im Rahmen der BETTER FUTURE EARTH WEEK von WELT und WELT AM SONNTAG erschienen.

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