Der Frühling naht langsam und man sieht sie wieder – unter offen getragenen Mänteln oder kürzeren Jacken: Taillen, Hüften und Bäuche. Viele Frauen hüllen sie gerne in Hosen, deren Bund mindestens auf Höhe des Bauchnabels oder noch höher liegt. Sogenannte High-Waist-Hosen und Mom-Jeans sind beliebt. Kein Wunder, sie halten warm und verrutschen nicht, machen unelegantes an-sich-Herumgezupfe obsolet. Einmal in den Bund hineingestopft, bleiben Blusen und T-Shirts, anders als bei tief sitzenden Hüfthosen, nämlich auch dort.
Das ist praktisch, alltagstauglich – und sorgt dennoch immer wieder für Diskussionen. Die High-Waist-Hosen-Trägerin wird mit einem „Na, heute wieder im Obelix-Look?“ bedacht oder in Anlehnung an Guido Maria Kretschmer darauf hingewiesen, dass dieser Schnitt wirklich „nichts für sie tut“. Online geht die Kritik weiter. In Hosen bis über den Bauchnabel sehe man aus wie ein Großvater, der nicht wisse, wie man eine Hose richtig trägt, schreibt etwa eine Reddit-Nutzerin. Auch die Mom-Jeans, die unter dem hohen Bund betont locker geschnitten ist, polarisiert: Sie wurde schon als „perfide Erfindung“ und „Schande für Jeans“ bezeichnet.
Die Luxusmode gibt sich von alldem unbeeindruckt. Loewe, Louis Vuitton, Moschino, Hermès, Issey Miyake, sie alle schieben in ihren Sommerkollektionen den Hosenbund noch ein wenig höher als zuvor. Bei erschwinglicheren Marken wie Zara und Levi’s gehören die hohen Bünde ebenfalls zum Sortiment. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach tief auf der Hüfte sitzenden Low-Waist-Hosen laut der Analyse-Plattform Tagwalk kürzlich um 64 Prozent gesunken. Der Trend geht also wieder zum hohen Bund – trotz der oft so vehementen Ablehnung.
Woher kommt die eigentlich? „In der Damenmode gibt es schon immer einen Kontrast zwischen Bequemlichkeit und Sexyness“, sagt Diana Weis, Kulturwissenschaftlerin und Autorin des 2020 erschienenen Buches „Modebilder“. Das, was als besonders sexy wahrgenommen werde, sei meist besonders unbequem, so Weis, die auch Professorin für Modejournalismus an der BSP Business School Berlin ist: High Heels statt Ballerinas, enge Schnitte statt lockerer Silhouette, knackige Hüfthosen statt bequemer High-Waist- oder Mom-Jeans: Bloß nicht zu entspannt, scheint die Devise zu sein.
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„Frauen sollen sich anstrengen, um in vermeintlich sexy Kleidung zu passen und darin ihren Körper zu zeigen – ihren möglichst schlanken, durchtrainierten Körper mit flachem Bauch natürlich“, so Weis. Dieses Schönheitsideal sei erst im 20. Jahrhundert aufgekommen. Dafür, dass es so jung ist, hat es sich überaus fest in den Köpfen verankert, aller viel beschworenen Body Positivity zum Trotz. Kaum wölbt sich der Bauch einer Prominenten leicht, wird über eine potenzielle Schwangerschaft spekuliert. Riskante Trends wie die „Ab Crack“, eine vom Brustbein zum Bauchnabel verlaufende Spalte zwischen den Bauchmuskeln, geistern seit Jahren durch soziale Medien. Und in Frauenmagazinen sind nach wie vor Tipps für einen flachen Bauch zu finden.
Den haben die meisten Frauen nämlich nicht von Natur aus, sie müssen Sport und gezielte Übungen dafür machen, sich eben anstrengen. Und selbst wer das tut, betont mit einer High-Waist-Hose jede noch so kleine Wölbung. Das stößt immer wieder auf Abwehr. Vor allem bei Mom-Jeans, in deren stoffgewordener Bequemlichkeit auch durchtrainierte Beine versinken.
„Die Bezeichnung Mom-Jeans ist relativ neu und entstand auch nicht gerade als schmeichelhafte Zuschreibung“, sagt Weis: Anfang der 2000er-Jahre waren tief auf der Hüfte sitzende Hosen à la Paris Hilton und Britney Spears besonders bei jungen Frauen angesagt. Dann wurden deren meist in 80er-Jahren modisch sozialisierten Mütter zur Inspiration für die Hose mit hohem Bund und lockerem Schnitt: „Anfangs hatte die Bezeichnung einen ironischen und spöttischen Unterton.“ Sie wecke vor allem bei höheren Semestern bis heute Assoziationen mit älteren Frauen.
Mittlerweile klingt die Bezeichnung eher selbstverständlich als spöttisch; in Onlineshops ist „Mom Jeans“ längst ein gängiger Suchbegriff. Wer sie trägt, sagt ohne Worte: „Ich trage, worauf ich – und nur ich – Lust habe.“ Ob das Ergebnis irgendwer sexy findet oder nicht, ist dabei herzlich egal. Vielleicht ist das ja ein Grund für den immer wieder aufflackernden Unmut mancher Betrachter. Erlebte Irrelevanz kann kränkend sein.
Dass es bei alldem nicht nur um die High-Waist-Hose geht, wird deutlich, wenn man mit nicht mehr ganz so flachem Bauch eine Hüfthose trägt. Auch dann können nämlich Kommentare à la „Das will doch niemand sehen“ fallen. Es scheint, als eignen sich Hosen an Frauenkörpern nach wie vor erschreckend gut als Diskussionsthema – unabhängig von der Höhe ihres Bundes.
Das hat laut Diana Weis auch historische Gründe: „Dass es so lange gedauert hat, bis auch Frauen Hosen trugen, zeigt, was alles damit verbunden wird: Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Bewegungsfreiheit.“ Die ersten Hosen an Frauenkörpern hatten dann auch – passend zum damals vorherrschenden Schönheitsideal der Sanduhrfigur – hohe Bünde. Ein legendäres Beispiel: Greta Garbo in den 30er-Jahren.
Auch bei Männern saßen Hosen lange viel weiter oben als heute. „Ich will mich wie Humphrey Bogart fühlen, der zu Halloween als eine übertriebene Version von sich selbst geht“, schrieb eine leidenschaftliche High-Waist-Trägerin passenderweise 2019 im Magazin „The New Yorker“.
In aktuellen Kollektionen taucht nun auch an Männerhosen wieder der hohe, beim Label Loewe sogar extrem hohe Bund auf. Kann das auch die Masse erreichen? „Was wir auf dem Laufsteg sehen, ist ja immer die Essenz einer Idee. Aber sie kann dazu führen, dass der Hosenbund grundsätzlich wieder etwas höher sitzen wird“, sagt Weis.
Das wäre uns allen zu wünschen. Denn das berühmte Bauarbeiter-Dekolleté, das bei tief sitzenden Hosen fast unvermeidlich ist, bietet wirklich niemandem einen schönen Anblick – ganz egal, wer es mit welchem Körper präsentiert.