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Airbus-Forschungschefin

„Wir müssen auf jeden einzelnen Pfad setzen“

Autorenprofilbild von Olaf Preuß
Von Olaf PreußWirtschaftsreporter
Veröffentlicht am 23.10.2023Lesedauer: 7 Minuten
Nicole Dreyer-Langlet, Forschungschefin von Airbus in Deutschland, mit dem Modell eines künftigen Propellerflugzeugs am Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung auf Finkenwerder
Nicole Dreyer-Langlet, Forschungschefin von Airbus in Deutschland, mit dem Modell eines künftigen Propellerflugzeugs am Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung auf FinkenwerderQuelle: Bertold Fabricius

Die Luftfahrt nähert sich wieder dem Niveau von vor der Pandemie an. In Hamburg entwickelt Airbus weniger klimaschädliche Formen des Fliegens. Dabei gehe es nicht nur um die Antriebe der Zukunft, sondern um das gesamte System der Branche, sagt Nicole Dreyer-Langlet.

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Auf die Frage, wie künftig das emissionsfreie Fliegen funktionieren wird, antwortet Nicole Dreyer-Langlet mit einer kurzen Pause. Dann startet die Forschungs- und Technologiechefin von Airbus in Deutschland zu einem verbalen Rundflug durch das heutige System der zivilen Luftfahrt, das etwa drei Prozent des globalen Ausstoßes an Treibhausgasen verursacht.

„Unsere Branche ist sehr schwer zu dekarbonisieren. Wir müssen auf jeden einzelnen Pfad setzen – es sind alles komplementäre Maßnahmen“, sagt sie. „Alle Aktivitäten laufen parallel und zahlen auf das Ziel eines emissionsfreien Fliegens ein.“ Das Flugzeug und dessen Kraftstoffe, die Flughäfen und die Flugrouten – alles müsse verbessert werden, um Klima- und Umweltschäden durch das Fliegen zu minimieren.

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Die Corona-Pandemie brachte den Welt-Luftverkehr im Frühjahr 2020 weitgehend zum Erliegen. Niemand konnte damals seriös einschätzen, wie schnell sich die Branche davon erholen würde. Auch Airbus drosselte seine Produktion auf der Werft in Finkenwerder.

Schneller als gedacht aber schließt die Flugwirtschaft wieder an das Vor-Corona-Niveau an: Für den August bilanzierte die internationale Luftfahrtorganisation IATA weltweit rund 800 Milliarden verkaufte Passagierkilometer – das ist ein Anteil von 95,7 Prozent, verglichen mit August 2019, wenige Monate vor Beginn der Pandemie. Im Vergleich zum August 2022 war die Zahl der Passagierkilometer um 28,4 Prozent gestiegen.

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Die Menschen wollen wieder fliegen, in Hamburg besonders auch während der laufenden Herbstferien: „Die Herbstferien zählen zu den passagierstärksten Reisezeiten im Jahr, an denen wir rund 55.000 Passagiere pro Tag erwarten“, sagt eine Sprecherin von Hamburg Airport. „In Spitzenstunden kann das Niveau von 2019 auch übertroffen werden.“ Insgesamt verzeichnete der Flughafen 2019 mit 17,3 Millionen Passagieren seinen bisherigen Rekord, für dieses Jahr werden 13,8 Millionen Passagiere erwartet.

Um den Luftverkehr ökologisch zu entschärfen, braucht es neue Technologien und Organisationsformen. In Hamburg geht es vor allem um die Beschaffenheit des Flugzeugs. Die Airbus-Werft auf Finkenwerder ist der weltweit drittgrößte Standort für die Fertigung von Passagierflugzeugen. Die Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge A320 und A321 und ihre verschiedenen Varianten – die für Airbus wichtigste Produktgruppe – werden vor allem in Hamburg produziert und weiterentwickelt.

Fertigung von Rumpfsegmenten für die A320-Modellfamilie von Airbus auf Finkenwerder
Fertigung von Rumpfsegmenten für die A320-Modellfamilie von Airbus auf FinkenwerderQuelle: Bertold Fabricius

Das neueste Modell, die A321XLR, ist mit einem Zusatztank im Rumpf als Langstreckenflugzeug mit bis zu 8700 Kilometern Reichweite konzipiert. Mehr als 7000 Aufträge für Modelle aus der, wie man bei Airbus sagt, „A320-Familie“, hat der Konzern derzeit – und damit einen der wichtigsten Hebel in der Hand, um den zivilen Flugbetrieb klimaverträglicher zu gestalten.

Ganz in der Nähe des Flugzeugwerks eröffneten die Stadt Hamburg und die Luftfahrtbranche vor einigen Jahren das Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL). Dort arbeiten etliche Akteure der Branche meist miteinander, mitunter auch separat am Flugzeug der Zukunft. Auch die Wirtschaftsingenieurin Dreyer-Langlet hat am ZAL ihren Hauptarbeitsplatz. Bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts will Airbus, der vor Boeing weltweit führende Hersteller von Passagierjets, das emissionsfreie Fliegen zur Serienreife entwickeln. Wie gut das gelingt, hängt vom Fortschritt des Gesamtsystems ab.

„Grüner“, regenerativ erzeugter Wasserstoff etwa gilt als großer Hoffnungsträger auch für den künftigen Antrieb von Flugzeugen. „Wir werden kein Flugzeug auf der Basis von grünem Wasserstoff bauen, wenn wir nicht sicher sein können, dass bis 2035 grüner Wasserstoff und die erforderliche Flughafen-Infrastruktur verfügbar sein wird“, sagt Dreyer-Langlet. „Deshalb engagieren wir uns zunehmend stark mit den verschiedenen Akteuren wie Flughäfen, Energieerzeugern, Airlines und Regierungen.“

Etliche Unternehmen und Institutionen beschäftigen sich in Hamburg mit einer klimaneutralen Luftfahrt, von Lufthansa Technik, das Flugzeuge wartet, repariert und modernisiert, bis zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, für dessen Arbeit derzeit das ZAL erweitert wird. Der Hamburger Flughafen, der auf einen komplett klimaneutralen Betrieb bis zum Jahr 2035 hinarbeitet, ist ebenso involviert wie viele mittelständische Unternehmen beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Miteinander verbunden sind sie auch im Netzwerk Hamburg Aviation.

Wichtigster Treiber auf dem Weg zum emissionsfreien Fliegen ist in Hamburg der europäische Luftfahrtkonzern Airbus. Stellvertretend steht dafür das Konzeptflugzeug des „Nurflüglers“, bei dem die Tragflächen und der Rumpf zu einem Dreieck geformt sind. Das Spektrum der Entwicklungen reicht aber viel weiter. „Der Nurflügler ist ein valides Konzept, aber nur eines von mehreren, an denen wir arbeiten“, sagt Dreyer-Langlet in einer der Hallen am ZAL. „Wir treiben unsere Forschungen und Entwicklungen für elektrische Antriebe auf der Basis von Brennstoffzellen voran, aber auch für Hybridantriebe, bei denen elektrische Propellerantriebe mit wasserstoffbetriebenen Gasturbinen für die Bordstromversorgung kombiniert werden könnten.“

Für große Flugzeuge, wie Airbus sie baue, seien rein batterieelektrische Antriebe ungeeignet: „Batterien für größere Passagierflugzeuge wären einfach zu schwer. Batterieelektrische Antriebe werden künftig aber vermutlich in kleinen Flugzeugen eingesetzt werden.“

Die Experten aus der Luftfahrtbranche untersuchen in den Hallen und Laboren des ZAL etliche Faktoren, mit denen Flugzeuge leichter, leiser und leistungsfähiger gebaut werden können. Auch mithilfe dieser Erkenntnisse entwickelt Airbus seine neue Generation sogenannter „Neo“-Flugzeuge weiter, deren Kraftstoffverbrauch um 20 bis 25 Prozent geringer ist als der ihrer Vorgängermodelle, auch bei der A320-Familie. Den Verbrauch einer wachsenden Flotte von Passagierflugzeugen einzudämmen, ist unerlässlich für ein künftiges „klimaneutrales“ Fliegen. Denn der wichtigste Kraftstoff für die Turbinenantriebe der zivilen Luftfahrt wird wohl auf lange Zeit teures, nicht-fossiles Kerosin sein.

Wasserstoff ist in reiner Form für Flugzeuge nicht gut geeignet – er muss per Tiefkühlung stark verdichtet werden und benötigt spezielle Tanks im Rumpf. Aus „grünem“, mit Hilfe von Ökostrom erzeugtem Wasserstoff und mit Kohlendioxid kann in einer Kreislaufwirtschaft aber synthetisches Kerosin erzeugt werden, das sich auch in Tragflächentanks so gut transportieren lässt wie konventioneller Kraftstoff heutzutage.

Mit Kerosin, das aus biogenen Rohstoffen hergestellt wird, lassen sich die Emissionen von Treibhausgasen um etwa 80 Prozent reduzieren, kalkuliert Airbus – mit synthetischem Kerosin aus „grünem“ Wasserstoff sogar um bis zu 90 Prozent, verglichen mit heutigem Kerosin, das auf Erdöl basiert. „Wir brauchen sehr schnell sehr viel mehr synthetisches Kerosin auf der Basis von ,grünem‘ Wasserstoff“, sagt Dreyer-Langlet. „Auch der Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur müsste schneller gehen. Wir selbst beteiligen uns mit Rat und Tat am Aufbau von ,Hydrogen Hubs‘ an Flughäfen weltweit.“ Airbus-Konzernchef Guillaume Faury kritisierte diese Woche, Europas Engagement bei den nachhaltigen Kraftstoffen „reicht noch nicht aus, um die anvisierten Klimaziele in der Luftfahrt zu erreichen“. Die USA seien hier viel weiter.

Bislang testet Airbus in seinen eigenen Transportern und Versuchsmaschinen – darunter ein speziell umgerüsteter Großraumjet des Typs A380 – vor allem synthetisches Kerosin, das aus biogenen Rohstoffen gewonnen wird. „Wir haben uns bei Airbus das Ziel gesetzt, bereits dieses Jahr unsere internen Flüge wie beispielsweise die Beluga-Transporter mit zehn Prozent nachhaltigem Kraftstoff zu betreiben, der aus biogenen Grundstoffen wie etwa alten Speiseölen hergestellt wird“, sagt Dreyer-Langlet. „Wir bieten unseren Kunden, den Fluggesellschaften an, die Flugzeuge bei der Auslieferung auf unsere Kosten mit einer Beimischung von fünf Prozent nachhaltigem Kraftstoff zu betanken, um ein deutliches Signal zu setzen.“ Derzeit schreibe die Europäische Union den Fluggesellschaften eine Beimischung von sechs Prozent nachhaltigem Kraftstoff als Ziel bis zum Jahr 2030 vor: „Wir plädieren für eine Quote von mindestens zehn Prozent.“

Bei der Weiterentwicklung und Neuerfindung des Fliegens orientiert sich Airbus auch an der Natur. „Wir forschen zum Beispiel an hocheffizienten Flügeln, die, nach dem Vorbild von Vögeln, schlanker und länger sind als die heutzutage üblichen Flugzeugtragflächen“, sagt Dreyer-Langlet. Energiesparende Formationsflüge von Zugvögeln bringen Herstellern wie Airbus ebenfalls neue Erkenntnisse. „Fello’fly“ heißt dieses Verfahren in der Luftfahrtbranche: „Zwei Airbus A350 flogen bei unserem eigenen Test hintereinander über den Atlantik. Die hintere Maschine, die einen Abstand von rund 1,5 nautischen Meilen zur vorderen hatte, sparte dabei im Windschatten-Aufwind fünf Prozent Kerosin ein.“

Senken lässt sich der Energieverbrauch überall im System. „Ein erheblicher Faktor für die Verringerung von Treibhausgasen sind effizientere, optimierte Flugrouten und Bewegungen von Flugzeugen auf den Flughäfen“, sagt Dreyer-Langlet. „Damit ließen sich in der Luftfahrt acht bis zehn Prozent aller heutigen Emissionen vermeiden.“ Das zu unterstützen, sei eine wichtige Aufgabe für die internationalen Regulierungsbehörden. Denn auch eine andere Schwäche des Luftverkehrs könnte in diesem Zusammenhang beseitigt werden: „Allein eine Warteschleife eines Mittelstreckenflugzeugs, zum Beispiel von vier Minuten Dauer über Hamburg, verbraucht rund 125 Liter Kerosin.“