Am selben Tag, an dem Präsident Joe Biden in den USA ein Gesetz zum erzwungenen Verkauf von TikTok in den USA unterschreibt, startet Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck seinen Auftritt auf der Videoplattform. Deutlicher könnte der Unterschied im Umgang mit dem Social-Media-Anbieter aus China auf beiden Seiten des Atlantiks nicht sein.
Sowohl in Washington als auch in Berlin hat man erkannt, welchen Einfluss TikTok vor allem auf junge Wähler gewonnen hat. Doch Biden und seine Regierung versuchen, diesen einzugrenzen. Habeck versucht, ihn auszunutzen.
Darin ist er nicht der einzige deutsche Politiker: Kanzler Olaf Scholz verspricht auf TikTok Einblicke in seinen Alltag, die FDP-Kandidatin für die Europawahl Strack-Zimmermann macht Kartoffelrankings, Friedrich Merz spricht über Einwanderung und Lieblingsgerichte. Und die AfD ist aktuell auf TikTok die Partei mit den meisten Followern.
Alle gemeinsam haben sie, dass sie auf TikTok bislang kaum ein kritisches Wort zu Chinas Außenpolitik verloren haben. Dabei wäre doch so viel Anlass dazu: Gleich mehrere erfolgreiche Spionagevorhaben der Chinesen in Deutschland wurden in den vergangenen Tagen aufgedeckt. Auf TikTok findet sich dazu erstaunlich wenig.
Wer sich dazu dort äußert – wie etwa der bayerische Anwalt Chan-Jo Jun – stellt fest, dass Videos zum Thema weniger Views einsammeln als anderes vergleichbares Material. Jun hinterfragt, ob der Algorithmus zur Empfehlung von Videos hier aus der Bytedance-Zentrale ausgebremst wird. Bytedance leugnet das aber.
Doch laut Analysen der TikTok-Kritiker in den USA sind viele Themen, die Chinas kommunistischer Partei nicht genehm sind, auf TikTok unterrepräsentiert: Die Hong-Kong-Proteste, der Ukraine-Krieg, die schwelenden Konflikte um Tibet und Taiwan – bei vielem, was Chinas Außenpolitik aktuell bewegt, scheint das Netzwerk im Vergleich zu Konkurrenten wie etwa Instagram seltsam leer, Videos dazu bekommen relativ wenig Aufmerksamkeit.
Chinas Macht auf Bytedance ist nicht zu unterschätzen
China hat längst erkannt, welchen Einfluss die Empfehlungs-Algorithmen sozialer Netzwerke auf die politische Meinungsbildung haben – und filtert in der chinesischen Variante von TikTok namens Douyin konsequent alle kritischen Themen. Die Technologie dafür ist bei Bytedance also längst vorhanden.
Anzunehmen, dass die Manager dort sich den Wünschen der kommunistischen Partei widersetzen könnten, ist naiv. Allzu offen hat die kommunistische Partei in den vergangenen Monaten diverse chinesische Internet-Unternehmer gemaßregelt.
TikTok-Mutter Bytedance bestreitet, dass die Entscheidungen zu Algorithmus-Einstellungen und Inhaltemoderation von Interessen der chinesischen Regierung beeinflusst werden, leugnet den Einfluss der Partei und hat sogar den TikTok-Firmensitz inzwischen nach Singapur verlegt.
Doch als US-Präsident Biden das Gesetz unterschrieb, das Bytedance zum Verkauf von TikTok zwingen soll, protestierte als einer der ersten die chinesische Botschaft in den USA, die von Diskriminierung gegen ein „chinesisches Unternehmen“ spricht. In China selbst dagegen hat man weniger Hemmungen, soziale Netzwerke zu diskriminieren: Auf Druck aus Peking hin wurde Apple erst vergangene Woche dazu gezwungen, die beiden Social-Media Apps WhatsApp und Threads aus dem App Store zu nehmen.
X, Instagram und Facebook sind seit Jahren in China verboten. Erst im Herbst hatte die chinesische Regierung ein neues Zensurgesetz verabschiedet, das für jede ausländische App eine Lizenz der Regierung vorschreibt.
Hat TikTok etwas zu verbergen?
Angesichts all dessen ist das Vorgehen Bidens zu TikTok nur konsequent, wenn China Freiheit für TikTok verlangt, sollte es umgekehrt den westlichen Konzernen in China die gleichen Freiheiten einräumen.
Die europäische Politik dagegen sollte sich fragen, ob man das Unternehmen den Wurzeln in Peking weiter frei gewähren lassen möchte, oder ob man genauer prüfen sollte, inwieweit China über TikTok die Meinungsbildung in Europa beeinflusst. Die Instrumente dazu hat die EU mit dem Digital Services Act gerade erst geschaffen, das erste Verfahren gegen TikTok läuft seit Februar.
Darin geht es unter anderem darum, ob TikTok europäischen Forschern Zugang zu seinem Datenschatz gewährt. Hat TikTok etwas zu verbergen? Etwa, wie Inhalte gefiltert werden, ob das Unternehmen Risiken aus seinem Algorithmus ausreichend transparent macht oder ob es die Radikalisierung seiner Nutzer fördert?
Die Frage, inwieweit Peking Einfluss auf die Meinungsbildung in dem Netzwerk nehmen kann, bleibt bei der EU-Untersuchung bislang ausgeklammert. Eine klare Strategie im Umgang mit Chinas wichtigsten sozialen Netzwerk in Europa fehlt.
Das könnte sich spätestens bei der anstehenden Europawahl rächen, wenn Peking – und sei es noch so subtil – die Darstellung von politischen Themen auf TikTok per Algorithmus im Sinne der chinesischen Interessen beeinflussen sollte. Europa muss sich gegenüber China klarer positionieren, muss Einblick in die Inhaltsfilter und Empfehlungs-Algorithmen verlangen – und im Zweifelsfalle ebenfalls Verbote aussprechen.